Hand in Hand mit den USA – israelische Expansionspolitik nach Sturz der syrischen Regierung immer „erfolgreicher“

Traum von „Großisrael“

Wiebke Diehl

Mit offiziellen „Wandertouren“ können Israelis die Grenze zu Syrien überqueren. Israelische Medien berichten, dass die Touren auf den völkerrechtswidrig besetzten und annektierten syrischen Golanhöhen vom Nordkommando und der 210. Division der israelischen Armee zusammen mit der Gruppe „Friends of Excursions“ und dem Siedlerrat organisiert werden. Israelische Truppen sollen die Teilnehmer begleiten, während sie bis zu zweieinhalb Kilometer auf syrisches und libanesisches Gebiet vordringen. Besucht werden sollen das Wadi al-Quqad, ein Nebenfluss des Jarmuk, der Hedschas-Eisenbahntunnel sowie die libanesischen Schebaa-Farmen am Fuße des Hermon.

Israelische Armee weiter im Libanon

Anfang März stürmten etwa 250 israelische Siedler – organisiert und eskortiert von der Armee – eine als „Grab der Diener“ bekannte Stätte in der Nähe von Hula im Südlibanon. Entgegen der libanesischen Auffassung, dass es sich um das Grab eines muslimischen Geistlichen handelt, behaupten sie, dort liege der jüdische Rabbi Ashi begraben. Obwohl Israels Militär gemäß dem im November geschlossenen, inzwischen über 1.500 Mal gebrochenen Waffenstillstandsabkommen bis zum 18. Februar aus dem Libanon hätte abziehen müssen, hält es immer noch fünf Schlüsselpositionen im Süden des Landes besetzt.

Bereits im Dezember waren Mitglieder der extremistischen Siedlergruppe Uri Tzafon in den Zedernstaat eingedrungen und hatten dort versucht, einen Siedlungs-Außenposten zu errichten. Teile der israelischen Siedlerbewegung fordern nicht nur immer offensiver, den Gazastreifen erneut völkerrechtswidrig zu besiedeln. Auch den Südlibanon haben sie längst wieder im Visier. Und Politiker, darunter Knesset-Abgeordnete bis hin zu Ministern, haben sich ihrer Forderung angeschlossen. Sie bilden die Speerspitze der immer größer werdenden Bewegung, die die Umsetzung eines jahrzehntealten, religiös „legitimierten“ geopolitischen Machtanspruchs fordert, der weit über das historische Palästina hinausreicht.

Palästinas Existenzrecht abgesprochen

In einer im vergangenen Oktober ausgestrahlten „Arte“-Dokumentation mit dem Titel „Israel: Extremists in Power“ kündigte der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich ganz unverblümt an, Israel werde sich „Stück für Stück“ ausdehnen. Es stehe „geschrieben, dass die Zukunft Jerusalems darin besteht, sich bis nach Damaskus auszudehnen“. Israel werde zukünftig nicht nur alle palästinensischen Gebiete, sondern auch Jordanien, den Libanon, Ägypten, Syrien, den Irak und Saudi-Arabien umfassen. Schon im Frühjahr 2023 hatte der rechtsextreme Smotrich in Paris behauptet, „so etwas“ wie das palästinensische Volk gebe es nicht.

Nicht ohne Grund hat Israel seine Grenzen bis heute nicht festgelegt. In seinem vollständigen, posthum im Jahr 1960 veröffentlichten Tagebuch schrieb Theodor Herzl, einer der Begründer des Zionismus und gedanklicher Wegbereiter des Staates Israel, das Gebiet des jüdischen Staates solle sich „vom Bach Ägyptens bis zum Euphrat“ erstrecken. Dabei handle es sich um die Region des „Palästina Salomos und Davids“. Schon 1917 hatte Rabbi J. Isaac der Friedenskonferenz nach dem Ersten Weltkrieg sein Buch „Die wahren Grenzen des jüdischen Staates“ vorgelegt. Dieser erstrecke sich vom türkischen Taurusgebirge bis zum ägyptischen Sinai. Auf einer Konferenz in Paris im Jahr 1919 legte die Zionistische Weltorganisation einen Plan zur Gründung eines jüdischen Staates vor, der ganz Palästina, den Südlibanon und den Südosten Syriens umfassen sollte. In seiner Aussage vor dem UN-Sonderausschuss erklärte Rabbi Fishman, ein Mitglied der Jewish Agency for Palestine, im Juli 1947, „das gelobte Land“ erstrecke sich „vom Fluss Ägypten bis zum Euphrat“. All diese Aussagen waren bekannt, als zwei Monate später der UN-Teilungsplan für das damalige Mandatsgebiet Palästina verabschiedet wurde.

Zersplitterung der arabischen Staaten

Das Projekt blieb über die Jahrzehnte nicht nur lebendig – es wurde auch weiterentwickelt. Im Jahr 1982, als die israelische Siedlungs- und Besatzungspolitik bereits in vollem Gange war, schrieb Oded Yinon, ein Journalist und ehemaliger Mitarbeiter des israelischen Außenministeriums, einen später als „Yinon-Plan“ bekannt gewordenen Artikel, in dem er seine Strategie zur „Sicherung des Überlebens Israels“ darlegte. Erreicht würde diese durch regionale Zersplitterung: die arabischen Staaten müssten in kleinere, schwächere Einheiten zerfallen. Diese auf konfessioneller Zugehörigkeit basierenden Staaten würden Israel dabei helfen, unter den Minderheiten wie Drusen, Alawiten und Kurden Satellitenverbündete zu gewinnen und so die damals durchweg feindliche Haltung der arabischen Nachbarn dem Staat Israel gegenüber zu durchbrechen. Yinon stellte auch die Zerstörung jeglicher Militärmacht der arabischen Staaten ins Zentrum seiner Pläne.

Was der „Yinon-Plan“ vorsah, war zu diesem Zeitpunkt bereits faktische Regierungspolitik: schon 1954 versuchte Israels Staatsgründer David Ben Gurion, einen maronitisch-christlichen Separatistenstaat im Libanon zu fördern. Während der Invasion des Libanon im Jahr 1982 wurde die maronitische Gemeinschaft unter dem damaligen Baschir Gemayel, dem späteren Präsidenten Libanons, zum Dreh- und Angelpunkt dieser Strategie. Man schuf bewaffnete Gruppen und unterstützte sie, um die Zersplitterung des Landes voranzutreiben. Auch Israels seit Jahrzehnten bestehende Unterstützung kurdischer Autonomie ist Teil der Zersplitterungs-Strategie.

Syrien und der Davidskorridor

Eine ähnliche Politik verfolgt die israelische Regierung heute in Syrien. Seit einigen Jahren kursiert der – nicht offiziell bestätigte – Plan, einen sogenannten Davidskorridor zu errichten: einen Landkorridor, der sich von den besetzten syrischen Golanhöhen durch Südsyrien bis zum Euphrat erstrecken soll. Der Korridor soll durch die syrischen Gouvernorate Deraa, Suwaida, Al-Tanf, Deir Ezzor und das irakisch-syrische Grenzgebiet Albu Kamal verlaufen. Der parallel zur jordanischen Grenze verlaufende „Davidskorridor“ würde das Gebiet – als Pufferzone zwischen Südsyrien und Jordanien – für eine mögliche Annexion vorbereiten. Hierzu passt auch die israelische Forderung nach einer „Entmilitarisierung“ Südsyriens. Das von den USA unterstützte, kurdisch kontrollierte Nordostsyrien würde mit Israel verbunden. Dies wäre auch im Inte­resse der USA, die dort bis zu 2.000 Besatzungssoldaten stationiert haben und seit Jahren in Kooperation mit den kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) syrisches Erdöl und syrischen Weizen stehlen und zu ihren Militärstützpunkten im Irak verbringen. Zuletzt wurden Gerüchte laut, Washington plane den Abzug seiner Truppen aus Syrien. Kurz darauf unterzeichneten die SDF ein Abkommen mit der „Übergangsregierung“ über die Integration ihrer Miliz. Zahlreiche Angebote der Regierung Assad, gegen den so genannten Islamischen Staat und andere terroristische Gruppen zu kooperieren, hatten die SDF hingegen ausgeschlagen.

Der Sturz der syrischen Regierung durch den Al-Kaida-Ableger Hai’at Tahrir asch-Scham (HTS) und mit ihm verbündete Terrorgruppen am 8. Dezember hat die Möglichkeiten einer Umsetzung israelischer Expansionspläne erheblich erleichtert. Die neuen De-facto-Machthaber in Damaskus setzen der israelischen Besatzungspolitik in Syrien – abgesehen von einigen leeren Worten – faktisch nichts entgegen. In arabischen Medien kursiert Bild- und Videomaterial, in dem zu sehen ist, wie HTS-Kämpfer einfahrenden israelischen Panzern tatenlos zusehen. Die bis heute anhaltenden israelischen Bombardierungen in Syrien, die nahezu die gesamte militärische Infrastruktur des Landes zerstört haben, verlaufen „ungestört“. Die israelische Armee kontrolliert inzwischen 30 Prozent der syrischen Wasserversorgung und hat neun Militärstützpunkte auf syrischem Gebiet errichtet. Kontrolliert wird zudem eine „Pufferzone“ mitten in Syrien, israelische Panzer sind nur noch 20 Kilometer von der Hauptstadt Damaskus entfernt. Israelische „Sicherheitspläne“ sehen eine 15 Kilometer breite „entmilitarisierte Zone“ und eine breitere, 60 Kilometer breite Einflusszone innerhalb Syriens vor. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat wiederholt erklärt, israelische Truppen würden auf unbestimmte Zeit auf dem bei Syrien verbliebenen Teil der Golanhöhen sowie auf dem unter Verletzung des Truppenabzugsabkommens von 1974 besetzten Berg Hermon bleiben.

Teil der israelischen Expansionsstrategie ist die Vereinnahmung von Minderheiten – teils gegen deren erklärten Willen. Anfang März wies Netanjahu gar das Militär an, sich für den „Schutz“ des drusischen Ortes Dscharamana direkt bei Damaskus bereitzuhalten, nachdem die De-facto Machthaber dort Militäroperationen gestartet hatten. Yinon hat sich in seinem Plan für Syrien das folgende Szenario ausgedacht: ein „schiitischer Alawitenstaat“ solle entlang der Küste entstehen, ein „sunnitischer Staat in der Gegend von Aleppo“ und ein weiterer „sunnitischer Staat“ in Damaskus, „der seinem nördlichen Nachbarn feindlich gegenübersteht“. Zudem sah Yinon einen eigenen drusischen Staat – „vielleicht sogar auf unserem Golan und mit Sicherheit im Hauran und im Norden Jordaniens“ – vor.

Auch die direkt nach der HTS-Machtübernahme eingeleiteten, bis heute unvermindert andauernden Massaker an syrischen Minderheiten, insbesondere den Alawiten, entwachsen nicht nur tiefem ideologischem Hass auf die „Ungläubigen“, die zudem noch der gleichen Konfession angehören wie der gestürzte Präsident Assad. Sie bereiten auch eine Spaltung des Landes nach konfessionellen Kriterien vor.

HTS begünstigt Israels Pläne

Dass die israelische Regierung sich öffentlich von den in Syrien herrschenden Terroristen bedroht gibt und deren Demütigung, Folterung, Vergewaltigung, Entführung und Ermordung von Minderheiten verurteilt, soll darüber hinwegtäuschen, dass ihr Agieren die eigenen Expansionspläne begünstigt. Und man will verschleiern, dass nicht nur die CIA, die Golfstaaten und die Türkei eben jene Kopfabschneiderbanden in ihrer Entstehung begünstigt, bewaffnet und trainiert haben. Auch aus Israel haben terroristische Gruppen, die die syrische Zivilbevölkerung seit 14 Jahren tyrannisieren, mannigfaltige Hilfe erhalten – darunter auch die Dschabhat al-Nusra, der Vorläufer der HTS. Seit spätestens 2013 hat Tel Aviv etwa zwölf bewaffnete dschihadistische Gruppen im Nachbarland heimlich finanziert, bewaffnet, Kämpfern ein monatliches Gehalt gezahlt und sie medizinisch versorgt. Zugegeben haben dies nicht nur Anführer solcher Gruppen. Auch die UN-Mission UNDOF, die seit 1974 die inzwischen israelisch besetzte Pufferzone auf den Golanhöhen überwacht, hat diesen Sachverhalt bestätigt. Und der damals scheidende Generalstabschef der israelischen Armee, Gadi Eisenkot, erklärte im Januar 2019, sein Land habe die „Rebellen“ mit leichten Waffen versorgt.

USA an der Seite Netanjahus

Unter dem Deckmantel von „Sicherheitsinteressen“ und „Minderheitenschutz“ wird ein geopolitisches Projekt verfolgt, das zugleich auch ein US-amerikanisches ist. Durch Spaltung und „Balkanisierung“ soll die israelisch-US-amerikanische Hegemonie in der Region ausgeweitet werden, um durch „konstruktives Chaos“, wie es die damalige US-amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice im Jahr 2006 nannte, einen „neuen Nahen Osten“ zu schaffen und über Westasien (Naher und Mittlerer Osten) den Zugang nach Zentralasien zu erhalten. Terroristische Gruppen wie die HTS sind seit jeher ein wichtiges Instrument zur Umsetzung dieses „Projekts“.

Die Evakuierungspläne der israelischen Armee, die den Krieg gegen den Gazastreifen mit US-amerikanischer Zustimmung und Unterstützung erneut intensiviert hat, für die etwa zwei Millionen Bewohner der Küstenenklave weisen inzwischen direkt ins Meer. US-amerikanische und israelische Regierungsbeamte verhandeln mit afrikanischen Staaten über deren Aufnahme. Für die dann geplante Annexion des Westjordanlands hat US-Präsident Trump schon in seiner ersten Amtszeit einen Freifahrtschein erteilt. Dass man es dabei aber nicht belassen will, machen hochrangige israelische Regierungsvertreter, darunter Netanjahu selbst, der jüngst vor einem Besuch in den USA ankündigte, die Karte des Nahen Ostens „neu zeichnen“ zu wollen, tagtäglich klar.

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"Traum von „Großisrael“", UZ vom 18. April 2025



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