Die IG Metall fährt derzeit mit selten großer Entschlossenheit und Kraft eine Kampagne hoch: Deutschland stehe vor einem historischen Umbruch, proklamiert die Gewerkschaft, und die nächsten zwei Jahre seien „Schicksalsjahre“ für die Industrie. „Wir haben keine Zeit mehr, Grundsatzdebatten zu führen, sondern müssen jetzt dringend handeln“, sagt Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall. „Wir wollen die Transformation der Industrie gestalten, die Regeln mitbestimmen. Wir müssen jetzt in der Öffentlichkeit deutlich machen: Ohne uns geht es nicht.“
Der IG-Metall-Vorstand prognostiziert, dass unsere Gesellschaft in den nächsten Jahren einen industriellen Veränderungsprozess erleben wird, den es in dieser Wucht und Geschwindigkeit nie zuvor gegeben habe. Ursächlich dafür seien unter anderem die Abkehr vom Diesel-Motor sowie der „Dekarbonisierung“ genannte Ausstieg aus der Stromerzeugung durch Kohle. Auch die Entwicklung „Künstlicher Intelligenz“ (KI) könne in der näheren Zukunft zum Abbau vieler tausend Arbeitsplätze im Angestelltenbereich führen. Die Globalisierung mit neuen Wertschöpfungsketten, die Digitalisierung der Produktionsprozesse und Produkte (Plattformökonomie) sind Teil dieses Prozesses.
Diese Prognose lasse sich nicht mehr mit „Strukturwandel“ beschreiben, da die Veränderungen umfassender, weitreichender und schneller sind als jemals zuvor. Als „Transformation“ bezeichnet die IG Metall diesen Prozess und will für „eine gute Zukunft für uns alle“ kämpfen. Immerhin gehe es um 1,5 Millionen. traditionelle Arbeitsplätze, die bis 2025 in Deutschland abgebaut sein könnten.
Bereits nach der letzten Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie wurde für einen „Transformationskongress“ mobilisiert, der im Oktober 2018 stattfand. Über 600 Betriebsräte, Vertrauensleute und Hauptamtliche der Gewerkschaft nahmen daran teil, informierten sich und tauschten sich aus.
Seit Anfang 2019 erstellt die IG Metall einen „Transformationsatlas“. Mit einem Fragebogen wird bundesweit ermittelt, wie der Stand der Transformation in den Betrieben ist. Damit verknüpft werden die Fragen, wie sich die Unternehmen auf die Transformation vorbereiten, wie es um die Qualifizierungspolitik der Betriebe bestellt ist und in wieweit die Betriebsräte auf die anstehenden Prozesse der Umstrukturierung vorbereitet sind.
Die Ergebnisse sollen Basis für die strategische Ausrichtung gewerkschaftlicher Arbeit sein und Forderungen an die Politik ableiten.
Diese Forderungen lassen sich in vier Ebenen unterscheiden, bei denen die IG Metall ihre politischen Eckpfeiler bereits gesetzt hat. Sozial: „Wir lassen niemanden zurück!“. Ökologisch: „Wir müssen den menschenverursachten Klimawandel stoppen!“. Ökonomisch: „Wir müssen gute Arbeit wettbewerbsfähig weiterentwickeln!“. Demokratisch: „Wir wollen Wandel mitbestimmen – in Betrieben und Gesellschaft!“.
Es werden verbindliche Personal- und Qualifizierungsplanungen gefordert, bei denen die Arbeitgeber in der Pflicht seien. Leiharbeit und dem Missbrauch von Werkverträgen müsse ein Riegel vorgeschoben, Befristungen ohne Sachgrund abgeschafft werden. Es solle mehr Mitbestimmung für Zukunftsvereinbarungen geben, das Qualifizierungschancengesetz offensiv genutzt werden. Ein Transformations-Kurzarbeitergeld wird gefordert, um Beschäftigte im Betrieb zu halten und für neue Aufgaben zu qualifizieren. Und schließlich appelliert die IG Metall an eine aktive regionale Industriepolitik, die unter anderem kleine und mittlere Unternehmen im Wandel durch Regionalfonds, Transformationsberatungsfonds für Betriebsräte und „Beteiligungsfonds“ unterstützt.
Diese Forderungen will die IG Metall am 29. Juni nach Berlin tragen. Am Brandenburger Tor soll eine bundesweite Großkundgebung stattfinden, um der Bundesregierung diese Forderungen zu übermitteln. Dazu erwartet die Gewerkschaft mehr als 50 000 Kolleginnen und Kollegen.