„We are all Detroit“ – Vierter Opel-Film von Wittener Dokumentarfilmern

Transatlantischer Heimatfilm

Dreimal hat sich das Dokumentaristen-Duo Ulrike Franke und Michael Loeken zuvor schon in kürzeren Film- und TV-Beiträgen an „seinem“ Thema abgearbeitet. Nun stoßen die beiden Wittener zum Kern ihrer Opel-Filme vor. Nach drei „Opel“-Titeln weist der neue „We are all Detroit“ auf jene Stadt im US-Staat Michigan, mit der die „Opel-Stadt“ Bochum das Auf und Ab wechselnder Geschichte teilt. Denn in Detroit war der Sitz des Opel-Mutterkonzerns General Motors, kurz GM, der schon 1931 (!) das Werk von den Opel-Brüdern vollständig übernommen hatte. Fragen nach internationaler Verflechtung und globalen Konzernstrategien drängen sich da schon auf, und der Film verlängert die Antworten bis in unsere Gegenwart.

Zum Auftakt aber holen Franke und Loeken historisch noch viel weiter aus, bis ins Jahr 1637. Ein „Umweg“, der aber auf originelle Art aus der vorindustriellen Zeit direkt wieder ins Heute führt: Sie lassen den Gedichtvers „All is vanity“ (Alles ist Eitelkeit) des Barockdichters Andreas Gryphius von Menschen verschiedener Herkunft und Berufe zeilenweise vortragen. Er endet mit „Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein. Wo jetzt noch Städte stehn, wird morgen eine Wiese sein, auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden.“ Der letzte Sprecher fügt seiner Zeile ein knappes „Der hat’s wohl kapiert!“ an – in Anerkennung für Gryphius’ Weitsicht, die heutigen Konzernchefs abhanden gekommen scheint.

Seit 2014, als Konzernmutter GM das Bochumer Opel-Werk endgültig schloss, sind die Filmemacher mit ihrem Team viermal an den Eriesee nahe der kanadischen Grenze gefahren. Sie suchten Spuren aus der Zeit, da die Zweimillionenstadt Detroit sich stolz „Motor City“ nannte, weil in ihr das Herz der weltweiten Autoindustrie schlug. Heute hat die Stadt zwei Drittel ihrer Einwohner verloren. Die Entwicklung in Bochum lief ähnlich: Mit Opel blühte die Stadt, mit Opels Ende ließ sich die Einwohnerzahl nur durch Eingemeindungen leidlich halten. Hier wie dort: Die geblieben sind, sehen den versprochenen „Strukturwandel“ illusionslos und leben von kärglichen Renten und blühenden Erinnerungen.

Mit Greg, dem einstigen Chrysler-Ingenieur, lernen wir die Treffpunkte der ehemaligen Arbeiter kennen, treffen Rich in seinem Werkzeugladen „Busy Bee“ und die Kellnerin Linda, die lernen musste, von den Trinkgeldern der seltener gewordenen Gäste zu leben. Allesamt Durchbeißer, die keine Träume mehr haben, während in Bochum ein Stadtplaner seinen Entwurf für die Nutzung des Opel-Geländes unter dem Schutt der Abrissbagger begraben sieht. Der staatlich geförderte Strukturwandel hat auf einen anderen Investor gesetzt: Der Paketdienst DHL wird hier ein paar hundert Arbeitsplätze schaffen, wo zehntausende waren. Die von NRW-Ministerpräsident Laschet beschworene „Aufbruchstimmung“ kommentiert der Film mit einem Schnitt auf blökende Schafe. Doch nicht solche polemischen Attacken sind der eigentliche Gewinn des Films, sondern die Subtilität mancher Beobachtungen, etwa die von Ex-Opelanern, die in leeren Werkshallen und später vom Absperrzaun aus die Bagger betrachten und die Zerstörung wortlos mit irritierendem Lachen begleiten. Die Nähe und Offenheit der Filmemacher zu ihren Protagonisten überbrücken mühelos ein paar Längen in den zwei Stunden.

Jetzt im Kino
„We are all Detroit – Vom Bleiben und Verschwinden“
Dokumentarfilm, Deutschland 2021, 118 Min (D/EN), Regie: Ulrike Franke, Michael Loeken

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"Transatlantischer Heimatfilm", UZ vom 13. Mai 2022



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