Die Linkspartei ist glücklich über Martin Schulz. Er hat bisher offen gelassen, mit wem er im Fall eines Wahlsiegs koalieren will. Daraus schließt sie, er könne auch mit Rot-Rot-Grün leben.
Mit seinen inhaltlichen Aussagen macht er ihr ebenfalls Freude. Auf einer „Arbeitnehmerkonferenz“ in Bielefeld griff er den so genannten Neoliberalismus (=Marktradikalismus) scharf an. Bei der Agenda 2010 seien Fehler gemacht worden, da müsse man jetzt nachbessern. Für einen Teil derer, die ihren Job verloren, verspricht er Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I, die Zahl der befristeten Beschäftigungsverhältnisse sei zu verringern, das Rentenniveau auf einem höheren Niveau zu stabilisieren.
Katja Kipping, Bernd Riexinger, Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht sehen sich bestätigt: Links wirke. Schulz habe ihre Positionen übernommen. Deshalb sei jetzt erst recht „Die Linke“ zu wählen, damit die SPD nicht am Ende sich doch wieder in eine Große Koalition flüchte und die Versprechen ihres Kandidaten begrabe.
Martin Schulz hat einst Schröders Agenda 2010 unterstützt und will ihre Grundstruktur auch jetzt nicht aufgeben. Er findet aber, es sei Zeit, ihre Früchte zu ernten.
Deutschland ist wieder einmal Exportweltmeister geworden. Länder der südlichen – europäischen und außereuropäischen – Peripherie gehören zu den Verlierern. Ihre Industrien werden niederkonkurriert oder entstehen gar nicht erst. Zu den Wettbewerbsvorteilen Deutschlands gehören geringe Lohnstückkosten (gemessen an der Produktivität) und niedrige Steuer- und Abgabelasten.
Sigmar Gabriel, Andrea Nahles, Frank-Walter Steinmeier erklären, zu diesem Erfolg habe die Agenda 2010 beigetragen.
Martin Schulz widerspricht ihnen nicht, findet aber, nun müssten auch die so genannten Abgehängten etwas davon abbekommen: Arbeitslose, Niedriglöhner, prekär Beschäftigte, Armutsrentner(innen). Das Plus, das Deutschland durch seine Vorteile im internationalen Konkurrenzkampf erzielt, soll ihnen also ebenfalls zugutekommen. Die Agenda 2010 habe sie kürzer gehalten, als es nötig gewesen war. Das meint er mit den Fehlern, die jetzt behoben werden könnten.
Ob „Die Linke“ sich eingeladen sieht, politisch an den Ergebnissen einer Politik, die einst – als die SPD auf dem Schröder-Trip war – ihren Aufstieg begünstigte, teilzuhaben?
Dass sie überhaupt wird mitmachen dürfen, ist nicht sicher. Diejenigen, die jetzt der SPD beitreten und deren Umfragewerte beflügeln, setzen offenbar ausschließlich auf sie. In dem Maße, in dem die Sozialdemokraten gerade zulegen, verlieren die Grünen und „Die Linke“. Letztere ist zwischendurch auch schon einmal auf sieben Prozent abgesunken.
Im Wahlkampf 2002 setzte die PDS auf zwei Kernkompetenzen: Ostdeutschland und Frieden. Das erste Thema ging ihr mit der großen Flut von Elbe und Mulde verloren: Die rot-grüne Regierung ließ rasch Geld fließen und nutzte so den Vorteil der Exekutive in einer Notstandssituation. Und als Schröder Bushs Irak-Politik contra gab, hatte die PDS für ein paar entscheidende Wochen auch ihr friedenspolitisches Alleinstellungsmerkmal verloren. So könnte es der Linkspartei jetzt mit dem Thema Soziale Gerechtigkeit ergehen.
Um teilweise Verlängerung des ALG-I-Bezugs, ein bisschen Anhebung der Renten und Einschränkung befristeter Beschäftigung zu erreichen, braucht Schulz Rot-Rot-Grün nicht unbedingt. Das ginge – wenngleich nach viel Hin und Her – auch mit einer Großen Koalition. Gabriel und Nahles haben unter Merkel ja auch schon den gesetzlichen Mindestlohn und die Rente mit 63 bei 45 Beitragsjahren erreicht. Rotgrün war 1998–2005 nicht auf diese Idee gekommen. Und Rot-Rot-Grün sähe sich bei ähnlichen Versuchen weit größeren Widerständen aus der bürgerlichen Opposition und deren Unternehmer-Hinterland ausgesetzt als im Deal innerhalb einer Großen Koalition.
Vielleicht pfeift „Die Linke“ schon im Wald, während sie noch zu träumen meint.