Drei Elemente finden sich immer wieder im Schaffen des französischen Filmregisseurs Robert Guédiguian, so auch in seinem jüngsten „Gloria Mundi“, der nun endlich in die deutschen Kinos kommt: ein scharfer Blick für die sozialen Verhältnisse in seinem Land und speziell in seiner Heimatstadt Marseille, seine Treue zu einem erprobten Darstellerensemble mit seiner Frau Ariane Ascaride an der Spitze und schließlich eine konsequent antikapitalistische Grundhaltung. Letztere ablesbar am Filmtitel, einer verkürzten Version des lateinischen Spruchs „Sic transit gloria mundi“ („So vergeht der Ruhm der Welt“), die die am Filmbeginn zur Welt kommende kleine Gloria elegant mit dem Zustand der Welt verknüpft.
An Glorias Wiege versammeln sich drei Generationen einer Familie, deren Freude über die neue Erdenbürgerin gemischt und nur von kurzer Dauer ist. Es sind die Großeltern Sylvie und Richard (sie Reinigungskraft, er Busfahrer), ihre beiden Töchter Mathilda (Aushilfsverkäuferin und Glorias Mutter) und Aurore (Verkäuferin in der Pfandleihe ihres Partners Bruno) und Glorias stolzer Vater Nicolas. Dann kommt auch noch Mathildas leiblicher Vater Daniel, der als verurteilter Mörder – er sagt, es war Notwehr – nach langer Haft in Rennes frisch aus dem Knast entlassen ist und als frischgebackener Großvater wieder in Marseille Fuß fassen will. Richards Job ist sicher, aber mäßig bezahlt. Sylvie kommt mit ihren Putzjobs nur über die Runden und in Konflikt mit ihren Kollegen, weil sie deren Streik unterläuft, Nicolas will die Familienkasse aufbessern, indem er für Uber Prominente durch die Stadt kutschiert. Aurore und Bruno haben Träume, die sich mit Pfandleihe, Drogendeals und Uber-Fahren kaum werden verwirklichen lassen. Vom „Ruhm der Welt“ keine Spur, und das „Sic transit“-Gewitter hängt drohend über der Familie wie der mächtige Konzerntower des Schifffahrtsriesen CMA-CGM über Marseilles Hafenviertel.
Guédiguian und sein Stamm-Koautor Serge Valletti kosten hier wie schon in früheren Filmen („La villa“) die Möglichkeiten des Ensemblefilms voll aus und lassen allen Beteiligten ausreichend Spielraum, ihre Figuren auszuformen. Sie nehmen bewusst in Kauf, dass dem Zuschauer die Hauptfiguren abhandenkommen und er sich mit den Einzelschicksalen befassen muss. Aus denen schmiedet der Film ein „prekäres“ Kollektiv, das sich gegen die von Geld und Profit beherrschte Außenwelt zu behaupten versucht. Selten erfolgreich, denn die Filmemacher sind realistisch genug, ihren Figuren die angestrebten Erfolge nicht per Drehbuch als erreicht zu schenken.
Dank ihrer Vertrautheit mit ihrer Stadt finden sie die billigen Kneipen, die Stundenhotels und Dealertreffs. Brunos Pfandleihe platzieren sie im Armenviertel neben der Stadtautobahn, wo Aurore mit rassistischen Machtspielchen ihre Kundinnen demütigen und zudem ins Geschäft mit Internet-Pornos einsteigen darf. Als Sylvie von ihren streikenden Gewerkschaftskollegen an die Perspektive der Solidarität gemahnt wird, fällt ihr nur ein: „Meine Perspektive ist der Boden, den ich schrubbe.“ Nicolas, die ehrliche Haut, will sich nicht von Bruno ins Drogengeschäft ziehen lassen, also bleibt ihm nur der umstrittene Uber-Job, der ihn auch noch die Gesundheit kostet. Für Mathilde, der die Entlassung aus der Boutique droht, ist die Perspektive die Leitung eines zweiten, aber piekfeinen Ladens, den Bruno an der Luxuspromenade Canebière eröffnen wird. Doch Guédiguian und Valletti geht es nicht darum, die Tristesse und Perspektivlosigkeit der kleinen Leute elitär auszuschlachten. Ihr Kameramann Louis Vilon – auch er gehört zur Guédiguian-„Familie“ – rückt in ausladenden Totalen immer wieder das große Ganze in den Blick: Eine Stadt, die durch Industrialisierung und Großkapital ihre Seele verloren hat.
Gloria Mundi – Rückkehr nach Marseille
Regie: Robert Guédiguian
Drehbuch: Robert Guédiguian, Serge Valletti
Mit: Ariane Ascaride, Jean-Pierre Darroussin, Gérard Meylan
Ab 13. Januar im Kino