Neues aus der norddeutschen Nazisszene

Tostedter Nazi-Internetshop reaktiviert

Von Birgit Gärtner

„Streetwear Tostedt“, der Name steht für einen Treffpunkt gewaltbereiter Neonazis in der Nordheide, ein Ladengeschäft, in dem Poster, Aufnäher, Nazi-Klamotten – u. a. Thor-Steiner-Sweatshirts –, Rechtsrock CDs etc. verkauft wurden. Aufgrund des öffentlichen Drucks wurde der Laden in einen Internet-Shop umgewandelt und Ende 2013 offiziell ganz aufgelöst.

Kürzlich wurde die Homepage reaktiviert. Die aktuell via „Streetwear Tostedt“ vertriebenen T-Shirts tragen Aufschriften wie „Amok“ oder „In hate we trust“ (wir vertrauen dem Hass). Die Bands, deren CDs gehandelt werden, heißen jetzt z. B. „Jungsturm – Kameraden“, „Kampfgeschwader Foier Frei“ oder „Frontalkraft“, die Titel lauten „Krieg bis zum Sieg“, „Völkischer Schwarzmetall“ oder „Endlöser vs. Antifa“.

Gegründet wurde der Shop, bzw. Neonazi-Treffpunkt, von Stefan Silar. Dieser gehörte schon als Jugendlicher Anfang der 1990er Jahre der rechtsradikalen Szene Buxtehudes an. Bis zum 18. März 1992: An jenem Tage töteten Silar und ein 26-jähriger rechter Saufkumpan aus Hamburg den Kapitän Gustav Schneeclaus. Der war ebenfalls betrunken und unterhielt sich mit den jungen Männern vermutlich über die Seefahrt. Irgendwie muss das Gespräch eine Wendung genommen haben: „Hitler war der größte Verbrecher“, soll Schneeclaus zu den Neonazis gesagt haben. Es kam zum Streit, der schließlich eskalierte. Der ältere der beiden Neonazis trat dem Kapitän mit seinen schweren Stiefeln ins Gesicht, schlug später mit einem Kantholz zu. Auch Silar trat kräftig zu. Am Ende sprang er mit beiden Füßen auf den Körper des am Boden liegenden Schneeclaus. Vier Tage später, am 22. März, starb dieser an seinen schweren Verletzungen.

Der 26-jährige Hamburger wurde seinerzeit zu acht Jahren und sechs Monaten Gefängnis wegen Totschlags verurteilt, Silar zu sechs Jahren Jugendstrafe, die nach fünf Jahren in eine Bewährungsstrafe umgewandelt wurde. Doch Silar knüpfte offenbar im Knast weitreichende Kontakte in die rechte, vor allem in die Rechtsrock-Szene. Nach seiner Haftentlassung übernahm er eine Führungsposition in der „Blood and Honour Sektion Nordmark“ (Blut & Ehre). Nach dem Verbot des „Blood and Honour“-Netzwerks baute er den „Saalschutz Nordmark“ auf, der Rechtsrockkonzerte absichern sollte, und anwesende Antifas und die Presse angriff.

2005 wurde Silar im Prozess gegen die rechte Terrorzelle „Combat 18“ (Kampfgruppe Adolf Hitler) in Pinneberg mitangeklagt. In dem Verfahren wurde er beschuldigt, Betreiber rechter Versandhandel um Schutzgeld erpresst zu haben. Mit diesem Geld sollten Terrorakte finanziert werden. Kurz bevor „Combat 18“ von der Polizei ausgehoben wurde, gab er dem Neonazi Klemens Otto einen Tipp, dass demnächst eine Razzia anstehen würde. Insgesamt musste sich Silar im Zeitraum von 1992 bis 2010 sieben Mal wegen seiner Neonazi-Umtriebe vor Gericht verantworten.

Klemens Otto galt als Kopf des „Kampfbundes“, der dem Verfassungsschutz (VS) zufolge Kampfsportarten trainierte, und Dossiers über Feinde der Bewegung anlegte, die als Anti-Antifa für Schlagzeilen sorgten. Allerdings blieb es nicht beim Anlegen von Akten …

2005 eröffnete Silar den besagten Laden im Tostedter Ortsteil Todt-glüsingen, der sich schnell als Szene-Treff etablieren konnte. Das wiederum sorgte für Unmut in der Tostedter Bevölkerung und der Antifa. Schließlich wurde der Szenetreff zum Closed Shop: „Für Presse jeglicher Art besteht Hausverbot“ stand auf einem Zettel an der schweren Holzeingangstür. Dazu der Hinweis: „Dieses Objekt wird kameraüberwacht.“ Ende 2013 soll Silar den Laden angeblich ganz aufgegeben und nur noch Restbestände im Internet verkauft haben.

Nun jedoch existiert der Internetshop wieder. Er sei „im neuen Glanze und unter neuer Leitung erwacht“, jubelten die einschlägigen Kreise in sozialen Netzwerken im Internet. Betreiber der Homepage ist Denny Reitzenstein, ein ebenfalls nicht unbekannter und einschlägig vorbestrafter Neonazi aus Buchholz/Nordheide.

Reitzenstein betreibt außerdem die Homepage der „Aktionsgruppe Nordheide“, „ein Zusammenschluss aus mehreren jungen heimattreuen Deutschen, die aktiv gegen dieses System auf die Straße gehen werden“, wie dort zu lesen ist. Auf der Webseite wird vorwiegend gegen Flüchtlinge gehetzt. Die Aktivisten griffen wiederholt Linke und Menschen an, die sie für Nicht-Deutsche hielten.

Mit Fackeln, weißen Masken und schwarz gekleidet liefen im Dezember 2011 etwa 35 Neonazis durch die Straßen Hamburgs, darunter auch Reitzenstein. Die Aktion wurde organisiert von der Kameradschaft „Weisse Wölfe Terrorcrew“ (WWT). Die Polizei setzte dem braunen Spuk ein Ende und nahm die Personalien der Neonazis auf. Drei Monate später, am 2. März 2012, folgten bei 17 Neonazis in Hamburg und Niedersachsen Hausdurchsuchungen. Dabei wurden unter anderem Rechtsrock-CDs, Aufkleber und entsprechende Literatur sowie Fahnen gefunden, zudem Gaspistolen, Messer und Schlagstöcke sowie ein Pulver, welches nach kriminaltechnischen Erkenntnissen als Sprengstoff verwendet werden könnte.

Auch Reitzenstein wurde am Morgen des 2. März von einem Sondereinsatzkommando (SEK) in seiner Wohnung überwältigt, in der ein international gesuchter Schweizer Neonazi vermutet wurde. Dabei wurden u. a. eine Fahne mit der Aufschrift „Meine Ehre heißt Treue“ und eine Hakenkreuzfahne, ein Transparent der WWT mit der Aufschrift „Eine Generation die sich wehrt – BRD zerschlagen!“ sowie diverse Rechtsrock-CDs beschlagnahmt.

Die Beteiligten wurden später zu Geldstrafen verurteilt. Die Richterin befand, die Aktion erinnere an einen Aufzug der SA (Sturmabteilung).

Zu dem Zeitpunkt war Reitzenstein im Sicherheitsbereich tätig. Allerdings anscheinend nur kurzfristig. Das wäre angesichts der rassistischen Hetze der „AG Nordheide“ mehr als haarsträubend, denn die fragliche Security-Firma soll Asylunterkünfte bewachen. Auch zwei andere Neonazis aus der Umgebung, Patrick Pawellik und Philipp Zemke, arbeiteten für dasselbe Unternehmen.

Private Security-Firmen scheinen eine eigentümliche Anziehungskraft auf Neonazis auszuüben…

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Tostedter Nazi-Internetshop reaktiviert", UZ vom 16. Oktober 2015



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Auto.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit