Schon am Beginn der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und Europäischer Union wurde strengste Vertraulichkeit vereinbart. „Experten“ sollten unter sich bleiben. Demokratisch legitimierte Gremien und Personen sollten in der Entstehungsphase rausgehalten werden. Die USA schätzen die missliebigen europäischen Politiker nicht, denn sie behindern. Wie tief dieses Misstrauen ist, demonstrieren die Amis ja seit Jahren mit ihren Ausschnüfflungspraktiken. Nun wurde bekannt, dass selbst in dieser Endphase der Verhandlungen Abgeordnete der Parlamente in den EU-Mitgliedsstaaten, die schließlich TTIP in den Parlamenten beraten und bestätigen müssen, von der Einsichtnahme des gegenwärtigen Stand der Dinge ausgeschlossen sind.
Nicht ausgeschlossen von der Mitwirkung an den Entwürfen, sondern ausdrücklich eingeladen, war hingegen die Unternehmerlobby bei der Erarbeitung der EU-Positionen zu TTIP. Die Europäische Kommission hatte ihre „Generaldirektion Handel“ mit den Verhandlungen mit entsprechenden USA-Partnern beauftragt. Ihre Sitzungen fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit hinter verschlossenen Türen statt. Zu insgesamt 528 Treffen – 88 Prozent – waren Vertreter der Konzerne, Banken, Firmen eingeladen. Mit Gewerkschaften oder Vertretern von Verbraucherorganisationen gab es im gleichen Zeitraum 2012 bis 2014 nur 53 Treffen. Insgesamt hatte die Generaldirektion Handel in diesem Zeitraum 288 Lobbygruppen, davon 250 aus der Privatwirtschaft. „Es ist offenkundig, dass die Generaldirektion Handel die Einbeziehung von Konzern-Lobbyisten aktiv förderte, während die nervigen Gewerkschafter und andere Gruppen zur Wahrnehmung öffentlicher Interessen in Schach gehalten wurden“, heißt es in einem Bericht eines in Brüssel ansässigen Forscherteams. Das alles ist ganz im Sinne der Vereinbarungen zwischen USA und EU – und wir wissen, woher der Wind weht.
Inzwischen wurden diese Meinungen, Standpunkte und Forderungen auf Hunderten Textseiten zusammengefasst und die noch unterschiedlichen Positionen der USA und der EU, die in den nächsten Verhandlungen abzuklären sind, aufgelistet. Und natürlich gibt es seit Monaten Forderungen nach Einsichtnahme in diese Papiere. Klar ist zwischen beiden Verhandlungspartnern: Die Öffentlichkeit muss außen vor bleiben. Strittig sind die Forderungen von Parlamentariern, Einsicht nehmen zu dürfen, um sich selbst ein Bild von den Positionen zu machen. Das wurde seitens der USA strikt abgelehnt. Die EU-Vertreter beugten sich dem oder bleiben auch selbst bei ihrer ablehnenden Haltung. Um dem Druck nachzugeben wurde in Brüssel in der USA-Botschaft (!) ein Leseraum eingerichtet, in dem die zu klärenden Positionen der USA und der EU eingesehen werden können. Einsicht können nur Personen nehmen, die von der EU auf einer Liste abgesegnet sind. Das sind Vertreter der Administration in Brüssel und Straßburg – Europaabgeordnete sind nicht zugelassen.
Nun hat das zunehmend geforderte Informationsbedürfnis dazu geführt, dass den Amerikanern eine Ausweitung der Einsichtnahme abgerungen werden konnte. Die EU-Kommission verständigte sich mit den USA darauf, dass auch in den US-Botschaften in den EU-Staaten Leseräume eingerichtet werden. In Berlin wurde kürzlich ein solcher in der US-Botschaft eingerichtet. Der Zugang ist streng reglementiert. In Deutschland hat Bundeswirtschaftsminister Gabriel der US-Botschaft eine „Liste mit 130 Regierungsmitarbeitern“, die zum Lesen berechtigt sind, übergeben lassen. „Ein Zugang für Abgeordnete oder für Vertreter der Bundesländer und Kommunen ist somit nicht vorgesehen“, ließ das Ministerium verlauten. Vorweg ging eine Intervention des Bundestagspräsidenten Lammert, der das Informationsbedürfnis der Bundestagsabgeordneten dem US-Botschafter in Berlin signalisierte und um Ausweitung der Lesezirkels bat. Der Botschafter zeigte sich entrüstet, dass Lammert seinen Brief öffentlich gemacht hatte und verweigerte einen Kommentar. „Die Botschaft betrachtet den Briefwechsel zwischen dem Botschafter und Mitgliedern des Bundestages als vertraulich“, äußerte ein Botschaftssprecher. Dennoch sickerte aus dem Schreiben des Botschafters der Satz durch: „Das aktuelle Verfahren sieht nicht vor, dass Mitglieder der Parlamente der Mitgliedsstaaten die konsolidierten Texte einsehen.“ Bei den konsolidierten Texten handelt es sich um Texte, in denen sowohl die Position der USA als auch der EU zu einzelnen Punkten kenntlich gemacht wurde.
Die Tatsache, dass die Leseräume ausschließlich in den US-Botschaften der EU-Länder, die eine solche Einrichtung ersuchen, eingerichtet werden, verweist wohl auch darauf, dass die Amis alles im Griff behalten wollen und denen in Europa nicht über den Weg trauen. In einem Brief an den Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses des Bundestages, Ramsauer (CSU), der die Geheimniskrämerei beklagte, versprach die Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, Zypries, dass sie sich „mit Nachdruck“ für den Zugang der Bundestagsabgeordneten einsetzen werde. Dies habe die Regierung bereits „wiederholt sowohl gegenüber der US-Seite als auch gegenüber der Europäischen Kommission gefordert“. Die US-Botschaft in Berlin bekräftigte daraufhin, dass „das aktuelle Verfahren“ nicht vorsehe, dass Bundestagsabgeordnete die TTIP-Texte einsehen dürften.