Deutsche Volkswirte erklären sich die Welt

Törichtes Modell

Von Manfred Sohn

In marxistischen Kreisen läuft das, was die Weltwirtschaft zunehmend prägt, unter dem Stichwort „Defizitkreislauf“. Die mit dem Begriffen des wissenschaftlichen Sozialismus gut begreifbaren Vorgänge erklären aber auch bürgerlich ausgebildete Ökonomen zunehmend zu einer auf Sicht unhaltbaren Situation.

In der wöchentlichen erscheinen „SparkassenZeitung“, einem bundesweiten Medium der Sparkassen-Finanzgruppe, findet sich in der Ausgabe vom 21. Oktober ein interessantes Gespräch mit zwei Chefvolkswirten dieser Gruppe – Torsten Windels von der Norddeutschen Landesbank (NordLB) und Michael Wolgast vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV). Dort finden sich eine ganze Reihe kritischer Anmerkungen zur gegenwärtigen Wirtschaftspolitik in Europa, die in folgendem Schlagabtausch münden, der eine Wiedergabe lohnt:

„Frage: Das Wachstumsmodell Deutschlands mit hoher Exportorientierung erzeugt erhebliche Ungleichgewichte. Muss es eine Art von Transfer geben?

Windels: Wenn wir systematisch Exportüberschüsse produzieren, weil wir sehr wettbewerbsstark sind, dann brauchen wir Absatzmärkte. Und die müssen wir organisieren. Also muss man meines Erachtens einen Teil der Exportüberschüsse auch in die Finanzierung der Absatzmärkte stecken. Wir brauchen Länder wie Spanien zum Kauf unsere Überschussproduktion. Wir zahlen netto in die EU ein, und diese verteilt Mittel zum Beispiel via Strukturfond. Es gibt ja keine einheitliche raumwirtschaftliche Entwicklung. Es ist Unsinn, Schwerin zu sagen, du musst Dich nur hinreichend anstrengen, dann wirst Du Hamburg. Deswegen gibt es bei uns den Länderfinanzausgleich. Bayern sagt immer, wenn Niedersachsen etwas fleißiger wäre, müsste München kein Geld einzahlen. Da sage ich: Seid froh, dass wir Euch BMWs abkaufen und für Euch Maschinenbauingenieure ausbilden.

Frage: Aber würde Bayern nicht mit einem gewissen Recht sagen: Wir verkaufen Euch die BMWs und müssen Euch das Geld dafür noch mitliefern?

Windels: So ist es, ja. Wenn Ihr das nicht tut, kaufen wir die BMWs nicht mehr. Global gesehen, ist das das deutsche Modell.

Wolgast: Ein Extremmodell, in dem man dauerhaft seine Exportüberschüsse verschenkt, nur um weiter Absatzmärkte zu haben, halte ich für Unsinn. Das kann für eine Zwischenzeit oder in einer Anpassungskrise sinnvoll sein. Aber langfristig wäre das ein törichtes Modell.“

Einen Ausweg aus diesem „törichten Modell“ wissen auch die beiden Chefvolkswirte nicht. Es wird ihn bei Aufrechterhaltung der kapitalistischen Tauschwirtschaft nicht geben.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Törichtes Modell", UZ vom 4. November 2016



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Stern.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit