Ukraine fordert nach Tod von OSZE-Beobachter ein Eingreifen internationaler Truppen

Tödliche Provokationen

Von Renate Koppe

Am 23. April fuhr ein Fahrzeug der OSZE-Beobachtermission in der Lugansker Volksrepublik (LVR) bei Prischib in der Nähe der Front auf eine Mine. Ein US-amerikanischer OSZE-Beobachter starb, zwei weitere wurden verletzt.

Reaktionen erfolgten innerhalb weniger Stunden. Merkel forderte Aufklärung und eine Einhaltung des vereinbarten Waffenstillstands und unterließ es nicht mitzuteilen: „Dabei kommt den von Russland unterstützten Separatisten, die widerrechtlich und mit Gewalt Teile des ukrainischen Staatsgebiets besetzt halten, eine besondere Verantwortung zu.“ Das Zitat stammt von „tagesschau.de“, wo wohl kaum je darüber informiert wurde, dass die Regierung der Ukraine aufgrund eines Staatsstreichs im Februar 2014 an der Macht ist oder dass die Volksrepubliken des Donbass nach einem Referendum mit hoher Beteiligung und überwältigender Mehrheit für die Souveränität der Republiken gebildet wurden.

Die ukrainische Regierung beschuldigte sofort die LVR und forderte das Eingreifen internationaler Truppen oder eine bewaffnete Polizeimission. Diese Forderung der Ukraine ist nicht neu, widerspricht dem von der ukrainischen Regierung unterzeichneten Minsker Abkommen und wird von den Volksrepubliken kategorisch abgelehnt, die darin einen weiteren Versuch sehen, ihre Territorien militärisch zu besetzen.

Die ukrainische Regierung begründet ihre Beschuldigung nur mit der Behauptung, dass die Routen der OSZE-Beobachter der Volksmiliz der LVR bekannt seien. Allerdings fordern beide Volksrepubliken seit langer Zeit, dass die OSZE die Routen mit ihnen abspricht, um die Sicherheit der Beobachter besser gewährleisten zu können. Auch der Leiter des OSZE-Teams ins Lugansk, Arne Dalhaug, sagte am 24. April in Lugansk, dass die OSZE ihre Routen mit niemandem abspreche und dies auch in Zukunft nicht tun werde.

Möglich wäre, dass das OSZE-Fahrzeug auf eine seit langem dort liegende Mine geraten ist. Woche für Woche werden im Donbass Dutzende von nicht detonierten Geschossen oder Minen entschärft. Bereits gesäuberte Gebiete an der Front werden von ukrainischen Soldaten häufig wieder vermint. In der letzten Woche gab es mehrere verletzte Zivilisten durch solche Sprengsätze. Dagegen spricht, dass am Tag danach von Entminungstrupps der LVR zwei weitere Minen im gleichen Bereich gefunden wurden und dass es sich um eine Straße handelt, die von der örtlichen Bevölkerung häufig befahren wird. Die Behörden der LVR geben auch an, dass sie Spuren eines ukrainischen Diversionstrupps gefunden hätten. Für eine Provokation von Seiten der Ukraine, die damit ihre terroristische Kriegsführung rechtfertigen und weitere Unterstützung erhalten will, spricht auch, dass unmittelbar nach der Detonation das Gebiet von ukrainischer Seite aus massiv beschossen wurde.

Von Seiten der OSZE gibt es bisher keinerlei Untersuchungsberichte.

Die Einschätzungen der OSZE-Mission über die Situation im Donbass stoßen wegen mangelnder Objektivität in den Volksrepubliken häufig auf Kritik. Obwohl die OSZE in ihren täglichen Berichten oft schwere ukrainische Waffen an der Front erwähnt und das Fehlen solcher Waffen in den registrierten Abzugsorten vermerkt, wird die Verantwortung für den nicht eingehaltenen Waffenstillstand von OSZE-Seite gewöhnlich auf die Volksrepubliken geschoben. In der letzten Woche gab es in keinem einzigen OSZE-Bericht Angaben über das Fehlen oder Vorhandensein ukrainischer Technik an den registrierten Abzugsorten. Entweder wurde die OSZE nicht dorthin gelassen – es gibt einige Erwähnungen von Behinderungen von OSZE-Beobachtern, jedoch keine Angaben zum Zweck der Patrouillen – oder es wurden keine Kontrollen vorgenommen. Hingegen wurde in der letzten Woche mehrfach dieselbe Militärtechnik der LVR in der Nähe von Lugansk erwähnt, die von LVR-Seite an die OSZE gemeldet wurde und die für die Parade am 9. Mai vorgesehen ist, was in den OSZE-Berichten mit keinem Wort erwähnt wird.

Infolge des Vorfalls am 23. April hat die OSZE bei der Verhandlungsrunde in Minsk die Sitzung der Untergruppe zu Sicherheitsfragen abgesagt, obwohl die ukrainischen Angriffe gegen die Volksrepublik unvermindert weitergehen. Dies geschieht vor allem in der Donezker Volksrepublik (DVR) entlang der gesamten Frontlinie, wo im letzten Monat wieder mehrfach ukrainische Vorstöße zurückgeschlagen wurden. Es gab mehrere verletzte Zivilisten und Infrastruktur wurde bewusst beschossen.

Zusätzlich zu den militärischen Angriffen und der vollständigen Blockade der Verkehrsverbindungen wurden im April trotz gegenteiliger Absprachen in Minsk die Wasser- und Stromlieferungen aus der Ukraine in die LVR vollständig eingestellt. Seitdem ist in einigen Orten der Notstand ausgerufen, weil Trinkwasser angefahren werden muss – die LVR kann sich nur zu gut 80 Prozent selbst mit Trinkwasser versorgen. Die fehlende Stromversorgung wurde mit Lieferungen aus der Russischen Föderation und der DVR ausgeglichen. Die DVR kann sich mit Wasser und Strom weitgehend selbst versorgen, allerdings werden dort insbesondere Einrichtungen der Trinkwasserversorgung regelmäßig beschossen, was zu häufigen Ausfällen der Wasserversorgung in der DVR, aber auch auf ukrainischem besetztem Gebiet des Donbass führt.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Tödliche Provokationen", UZ vom 5. Mai 2017



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Flugzeug.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit