Meine Corona-Woche (12)

Time for a change

Schön, wenn sich junge Multimillionäre wie Jason Sancho (BVB) ihrer Wurzeln erinnern und der Rassismusopfer in den USA gedenken (hier mit einem T-Shirt mit der Aufschrift „Justice for George Floyd“). Idiotisch, wenn sie zwei Tage später auf ihrer „Insta“-Seite Fotos präsentieren, in denen irgend ein Starfriseur ihnen für 5.000 Euro die Haare schön macht. Das führt die erste Aussage amtlich ad adsurdum. Armut, und damit auch Reichtum, ist Instrument und Teil von Rassismus. Verstanden? Eher so nichts. Time for a change.

Der FC Schalke 04 wäre nicht der FC Schalke 04, wenn es der Club nicht immer wieder schaffen würde, alle anderen an Dummheit zu überholen. Die Fans, die auch für die letzten vier Heimspiele bereits im Voraus bezahlt haben, aber keins sehen dürfen (Geisterspiele und so), sollen dem Klub nun das Geld überlassen. Das geht aus einem Brief hervor, den die „Kunden“ bekamen. Wer seine Kohle aber zurück möchte (wofür sie oder er ja allen Grund hätte!), soll einen „Härtefallantrag“ stellen, diesen begründen und „falls möglich, füge bitte entsprechende Belege an“. Ich kann mich ehrlich gesagt nicht an eine dreistere Unverschämtheit erinnern, seit ich mich erinnern kann. Oder wie ein Schalke-Fan auf Twitter kurz auf Gelsenkirchenerisch antwortete: „Geht euch einen Scheißdreck an!“ Auf den normalen Markt übersetzt hieße das ja: Ich kaufe und bezahle eine, sagen wir, Klarstein VitAir Turbo Smart Heißluftfritteuse, wofür auch immer. Diese wird nicht geliefert und ich bekomme stattdessen einen Brief, in dem ich zum Verzicht einer Rückzahlung angehalten werde. Oder ich soll belegen, warum ich mein Geld irgendwie doch noch gebrauchen könnte. Nicht wirklich, oder? Fanverarsche de luxe. Time for a change.

Samstag, Demo gegen Rassismus und Polizeigewalt in Dortmund. Statt 1.000 sind wir 5.000, es wird sehr eng auf dem Platz. Nicht gut in diesen Zeiten. Während Kollegin J. auch als 18 durchgehen könnte, schraube ich durch bloße Anwesenheit das Durchschnittsalter der Jugendlichen problemlos um mindestens vier Jahre nach oben. Die Veranstalter sind leider mal wieder miserabel vorbereitet, man versteht nicht ein Wort der Reden. Also klatschen wir, wenn alle klatschen. Das ist strange. Vielleicht hat gerade jemand gesagt, dass man auf Rassisten zugehen müsse oder dass wir alle Menschen lieben sollen. Und ich applaudiere. Hmmm. Dann knien wir alle mit erhobener Faust. Das heißt, alle knien, während Freundin B. und ich nach einer Minute sitzen. Die Knie. Egal, es ist ein schönes, ein wichtiges Bild. Sehr schön auch das Bild nach der Demo: Sechs eiskalte große Bier für sechs engagierte ProtestlerInnen. Also wir jetzt.

Abends alleine in die Stammkneipe. Am Tisch die schöne M. samt Eltern und einigen anderen, die ich nicht kenne. Man macht mir mit sparsamsten Worten klar, dass der Tisch voll ist. Also mein eigener jahrelanger Stammtisch. Interessant. Ich schaue das belanglose Spiel (1:0 für Borussia) an einem eigenen Tisch und unterhalte mich mit zwei äußerst angenehmen Damen meines Alters über Kinder, Demos, Vergangenheit und Gegenwart. Die Zukunft lassen wir aus, keine Lust auf schlechte Laune. Ich verabschiede mich aufs Überfreundlichste von der schönen M., welche ein riesiges Fragezeichen über dem Kopf nicht verhindern kann. Radel trotz allem oder gerade deshalb mit breitem Grinsen nach Hause, lege Skunk Anansie („Yes it‘s fucking political!“) auf den Plattenteller und denke mir, während ich, so gut es eben geht, durchs Wohnzimmer hüpfe: Fitness, Fußball, Freunde? Time for a change.

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"Time for a change", UZ vom 12. Juni 2020



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