Manchmal ist auch ein 11:1 kein überzeugender Sieg. Das war der Fall, als die Vereinigten Staaten am 25. Februar einen Resolutionsentwurf in den UN-Sicherheitsrat eingebracht hatten. Das Dokument verurteilte Russlands Angriff gegen die Ukraine und forderte, die russischen Streitkräfte sollten sich umgehend zurückziehen. Moskau verhinderte die Verabschiedung der Resolution mit seinem Veto. Das war erwartet worden. Auch dass sich China in der Abstimmung enthielt, verwunderte kaum: Peking hat zwar mehrmals in diplomatischen Formeln bekräftigt, dass es Russlands Überfall auf die Ukraine nicht billigt, hat jedoch jeweils auch die treibende Rolle der USA im russisch-ukrainischen Konflikt kritisiert. Was aber dann doch für eine gewisse Überraschung sorgte, war, dass sich zwei weitere Länder nicht auf die Seite der Vereinigten Staaten schlugen, sondern sich ganz wie China der Stimme enthielten: Indien und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Die Beziehungen der Emirate zu den USA sind eigentlich eng, nicht zuletzt militärisch wie auch in der gemeinsamen Positionierung gegen den Iran. Nur: Abu Dhabi ist längst nicht mehr gewillt, sich in seiner Außenpolitik allein auf Washington zu verlassen. Allzu offen liegt zutage, dass sich die Vereinigten Staaten immer mehr auf den Machtkampf gegen China fokussieren und dafür Verbündete anderswo fallenlassen; der Abzug aus Afghanistan zeigt das ebenso wie die – jetzt auch praktisch bestätigte – Mitteilung, die USA würden die Ukraine, die sie gegen Moskau scharf gemacht haben, nicht militärisch gegen Russland verteidigen. Daher haben die Emirate mit China zu kooperieren begonnen, nutzen Huawei, kaufen jetzt sogar den leichten chinesischen Kampfjet L-15. Auch mit Moskau baut Abu Dhabi seine Beziehungen aus. Bislang hat das Land – wie die anderen Staaten auf der Arabischen Halbinsel – dem Druck der USA widerstanden und sich in puncto Ukrainekrieg nicht gegen Moskau positioniert.
Indien wiederum wird vom Westen intensiv als Verbündeter im Machtkampf gegen China umworben; seine Beziehungen zu den USA sind, wie diejenigen der Emirate, ebenfalls eng. Dennoch beharrt Neu-Delhi darauf, sein gutes Verhältnis zu Moskau nicht aufs Spiel zu setzen. Aus Russland bezieht es einen größeren Teil seiner Rüstungsimporte und als Gegenmittel gegen allzu starke Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten ist Kooperation mit Moskau ohnehin ziemlich vorteilhaft. Kaum hatten die westlichen Mächte beschlossen, diverse russische Banken vom globalen Zahlungsdienstleister SWIFT abzuschneiden, da wurden erste Pläne bekannt, den indisch-russischen Handel dann eben über indische Bankkonten in Rupien abzuwickeln. Die Debatte, wie sich negative Folgen der Sanktionen für die indisch-russischen Beziehungen vermeiden ließen, war bald in vollem Gang.
Indien und die Vereinigten Arabischen Emirate bilden keine Ausnahme; immer mehr Staaten sind um die Vermeidung einer einseitigen Abhängigkeit von den USA bemüht. Die Türkei ist ein weiteres Beispiel; sie weigerte sich trotz allen Drucks zunächst, den Bosporus und die Dardanellen für russische Kriegsschiffe zu sperren, und willigte erst nach einigen Tagen ein, den Vertrag von Montreux anzuwenden. Der sieht Beschränkungen für Kriegsschiffe von Staaten, die gerade Krieg führen, bei der Durchfahrt durch die Meerengen vor. Allerdings sei den Kriegsschiffen von Anrainern wie Russland auch im Krieg die Durchfahrt auf dem Weg in den Heimathafen erlaubt, teilte die türkische Regierung mit; von einer vollständigen Sperrung des Bosporus und der Dardanellen für russische Kriegsschiffe könne deshalb keine Rede sein. Und Sanktionen? Nun – die kommen für Ankara genauso wenig in Betracht wie für Neu-Delhi, Abu Dhabi und Peking. Washington kann dort nicht auf Unterstützung hoffen. Die globalen Kräfteverhältnisse – das zeigt sich nicht zuletzt in den Reaktionen auf Russlands Krieg gegen die Ukraine – haben sich tiefgreifend zu verschieben begonnen.