Wenn in der Krise die Zinsen weiter steigen

Tiefer in die Rezession

Kolumne

Deutschland und das Eurogebiet befinden sich offiziell in der Rezession. Das heißt, es gab zwei Quartale lang ein schrumpfendes inflationsbereinigtes BIP (Bruttoinlandsprodukt). Die Prognosen sehen düster aus. Wahrscheinlich sei, dass die bisher leichte Rezession sich zunächst noch vertiefen werde, sagen die Prognostiker bei Bundesbank und EZB (Europäische Zentralbank). Sogar über die Ursache des wirtschaftlichen Rückgangs besteht Einigkeit: es ist die nun schon ins zweite Jahr gehende hohe Inflation. Sie „schmälert die Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger“, erklärt uns gelassen Bundesbankpräsident Joachim Nagel. Ein wenig geht er dabei sogar ins Detail. Im vergangenen Jahr sind die Reallöhne, also die Löhne nach Abzug der Inflation, deutlich gefallen, weil die Inflation sehr viel höher war als die Lohnsteigerungen. Die Veränderung der realen Effektivlöhne 2022 lag laut Bundesbank immerhin bei gut minus 4 Prozent. Schon in den beiden Jahren zuvor haben die Lohnabhängigen – die Rentner und Bezieher von Einkommen aus der Sozialversicherung sowieso – reale Einkommensminderungen hinnehmen müssen.

Die Tatsache an sich wird niemanden überraschen. Man spürt es täglich. Aber dass diese offensichtliche Tatsache auch die Ursache für die laufende Rezession ist, wird meist nicht gesagt. Vielleicht weil es so überaus offensichtlich ist. Die Leute haben von Woche zu Woche weniger in der Haushaltskasse. Es ist nicht die fehlende Konsumneigung der Bürger, sondern fehlendes oder real sinkendes Einkommen, das die Nachfrage nach Konsumgütern deutschlandweit und eurozonenweit sinken lässt. Wenn in dieser Situation die Europäische Zentralbank in der vergangenen Woche den Leitzins ein weiteres Mal um einen Viertelprozentpunkt auf nun 4 Prozent erhöht hat, genießt sie bei vielen Sympathie. Der Kampf gegen die exorbitanten Preissteigerungen soll ruhig Priorität haben, findet nicht nur die staatstragende Presse, sondern ist unwidersprochen allgemeine Meinung.

Dabei gerät aus dem Blickfeld, was nach Jahren geringer Preissteigerungen von zwischen 0 und 2 Prozent die Ursache für die plötzlich ab Mitte 2021 kräftig anziehende Inflation war. Es waren in erster Linie stark anziehende Energiepreise, angeführt vom Preis für Rohöl und ausgelöst von Kriegen und der Sanktionspolitik des Westens gegen bedeutende Ölförderländer. Die Notenbanken hatten das in dieser Anfangsphase auch so gesehen und sich für diese Art von Inflation als nicht zuständig erklärt. Das änderte sich zum Jahreswechsel 2021/22, als der Konflikt mit Russland eskalierte, die Versorgung Europas mit Erdgas gekappt wurde und die Energiepreise noch einmal dramatisch anzogen. Nicht nur eskalierte damit die allgemeine Teuerung, es war auch ersichtlich, dass auf längere Dauer mit höheren Energiepreisen zu rechnen ist. Die Notenbanken begannen, ihre Zinsen an die davoneilende Inflation anzupassen.

Noch immer liegt der Leitzins der EZB (4 Prozent) unter der offiziellen Inflationsrate von gut 6 Prozent in der Eurozone. Abgesehen vom Bau entfaltet der gestiegene Zins noch keine Bremswirkung auf die Konjunktur. Wie oben festgestellt, wird das Wirtschaftswachstum vielmehr direkt von den gestiegenen Preisen ausgebremst. Bemerkenswert ist außerdem, dass sich der Preistrend gedreht hat. Die Inflation auf der Verbraucherebene geht langsam zurück. Die Erzeugerpreise steigen nicht mehr und sinken sogar in einigen Bereichen. Die Energiepreise sind seit einigen Monaten rückläufig.
Die EZB hat dennoch angekündigt, ihre Zinsen demnächst weiter erhöhen zu wollen. Das richtet sich gegen die Lohnabhängigen und deren Bemühungen, wenigstens einen Teil der Kaufkraftverluste durch bessere Lohnabschlüsse zurückzuholen. Das Ergebnis wird sein: die Rezession wird nicht nur flach und kurz, sondern tief und langwierig.

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"Tiefer in die Rezession", UZ vom 23. Juni 2023



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