Wieder gingen mehr als hunderttausend Menschen in Israel auf die Straße, um gegen Benjamin Netanjahu, seine geplante Entlassung des Geheimdienstchefs und die erneuten Angriffe auf Gaza zu demonstrieren. Gaza war für viele von ihnen keine Frage von Krieg und Frieden, sondern eine der Reihenfolge. Zuerst sollten die Geiseln ausgetauscht werden, dann könnte, wenn nötig, der Krieg weitergehen. Auch für Netanjahu war die Fortsetzung des Genozids mehr eine praktische Frage: Das neue Budget muss verabschiedet werden, mit dem Bruch des Waffenstillstands will er seine Mehrheit in der Knesset sichern.
Diese Mehrheit hängt seit dem Rücktritt des rechtsextremen Ministers Itamar Ben-Gvir wegen des Waffenstillstandes an der ultraorthodoxen Partei Vereinigtes Thora-Judentum. Und die verlangte Fortschritte für ein Gesetz, das ultraorthodoxe junge Leute vom Wehrdienst freistellte.
Ben-Gvirs Ministerposten hatte Netanjahu nur kommissarisch neu besetzt – er wusste, dass er bei einer kommenden Fortsetzung des Krieges in die Regierung zurückkehren würde. Und so kam es. Mit den Stimmen von Ben-Gvir, Finanzminister Bezalel Smotrich und den anderen Verbündeten Netanjahus ist die Verabschiedung des Budgets sicher, unabhängig von der Partei Vereinigtes Thora-Judentum.
Das Hofieren der Rechtsextremen endet nicht in der Knesset. Seit Februar ist Netanjahus Likud offizieller Partner mit Beobachterstatus der „Patrioten für Europa“, einer rechtsextremen Fraktion im Europäischen Parlament.
Netanjahu ist weiterhin bestrebt, die Einflussmöglichkeiten der Justiz auf die Regierungspolitik einzuschränken und versucht, politisch ihm genehme Personen an die Schalthebel von Militär und Geheimdiensten zu setzen.
Neben der Entlassung des beliebten früheren Armeesprechers und Kritikers der Regierung Daniel Hagari ist das vor allem die geplante Entlassung des Chefs des Inlandsgeheimdienstes Ronen Bar. Sein Vergehen: er eröffnete Untersuchungen gegen Mitarbeiter von Netanjahu. Das israelische Kabinett unterstützte seine Entlassung einstimmig und gegen den Rat der Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara – ein Vorgang, der in der gesamten Geschichte Israels einmalig ist.
Schon am nächsten Tag widersprach eine Entscheidung des Obersten Gerichts Bars unmittelbarer Entlassung und kündigte eine Anhörung für Anfang April an. Die Frage, die viele der Demonstranten bewegte: Wird Netanjahu Bars Entlassung weiter betreiben, was eine tiefe Verfassungskrise bedeuten würde? Oder wird es einen Kompromiss über das Datum der Entlassung geben?
In Netanjahus politischen Säuberungsaktionen geht es jetzt auch um die Generalstaatsanwältin. Eine Abstimmung im Kabinett sprach Gali Baharav-Miara das Misstrauen aus.
Eine Organisation von High-Tech-Unternehmen droht damit, die Wirtschaft des Landes zum Erliegen zu bringen, sollte Netanjahu seinen Weg nicht aufgeben, bevor er in den Abgrund führt. Der Oppositionspolitiker Jair Lapid ruft sogar zum Generalstreik auf, falls Netanjahu seine Drohungen gegen Geheimdienstchef und Generalstaatsanwältin wahr machen würde. Viele Reservisten sehen das ähnlich. Sie versuchen zunehmend, sich offen oder unter einem Vorwand der Einberufung zu entziehen.
Der israelische Präsident Jitzchak Herzog warnt vor den tiefen Rissen in der israelischen Gesellschaft und den bitteren Ereignissen, die gegenwärtig ablaufen. Die Generalstaatsanwältin sieht in Netanjahus Politik „den Versuch der Regierung, sich über das Gesetz zu erheben“, um ohne Kontrolle durch die Justiz agieren zu können.
Dagegen ist Netanjahu sicher: „Israel wird ein demokratischer Staat bleiben, es wird keinen Bürgerkrieg geben.“