Theresa May: Eine britische Angela Merkel?

Von John Foster

John Foster ist Internationaler Sekretär der Kommunistischen Partei Britanniens

Ist Großbritanniens neue Premierministerin Theresa May eine britische Angela Merkel? Sie ist skrupellos, ehrgeizig und hat enge Verbindungen zum britischen Finanzkapital. Sie versteht sich auf das richtige Timing und das Verschleiern strategischer Ziele. Gleichzeitig ist sie fähig, breite Wählerschichten anzusprechen. Wie breit, das wird sich noch erweisen. Ihre Rolle beim Steuern der öffentlichen Meinung und der Überbrückung der Kluft, die durch die konservative Partei geht, muss im Rahmen der tiefen politischen Krise gesehen werden, der sich die herrschende Klasse Britanniens gegenübersieht.

Im Frühsommer schien die konservative Partei in einem Fraktionskampf zu versinken, der die großen taktischen und strategischen Differenzen innerhalb der britischen herrschenden Klasse in der Frage der Beziehung Britanniens zur EU spiegelte.

Die strategischen Differenzen betrafen die etablierte Rolle der Londoner City als dereguliertem Stützpunkt für US-Banken, der EU und deren Kontrolle des europäischen Finanzmarktes. Für den Status des Dollars als Weltwährung ist das von großer Bedeutung.

Britannien war damit ökonomisches Sprachrohr der Interessen der USA in der EU und Klammer für die enger werdende Beziehung zwischen EU und NATO. Lange Zeit brachte dieses Arrangement der britischen Finanzelite große Vorteile und befähigte sie, international eine gewisse Rolle in der imperialistischen Ökonomie zu spielen.

Anders sah das der Teil der Finanzelite, der Hedge-Fonds und Investmentbanken betreibt, Geld aus dem Nahen Osten, Fernost und aus Großbritannien verwaltet. Diese Leute sahen ihren Spielraum durch Bestrebungen der EU bedroht, Finanzspekulationen zu besteuern und insbesondere die Verschuldung und die Hebelwirkung aufs Eigenkapital zu beschränken, von dem das Geschäft der Hedge-Fonds abhängt. Sie stellen darüber hinaus in Frage, ob die Vertretung der finanziellen Interessen der USA in der EU letztendlich wirklich einen Nutzen bringt, da sie ein überbewertetes britisches Pfund und den Niedergang der britischen Industrie nach sich zieht.

An diesem Punkt gehen die strategischen und taktischen Differenzen ineinander über: Wie ist die Massenbasis der konservativen Partei außerhalb des Parlaments zu bewahren? Aufgrund der EU-Mitgliedschaft notwendige Maßnahmen untergruben die Massenbasis der konservativen Partei und brachten der United Kingdom Independence Party (UKIP) Zulauf.

Zum Teil ging es um Fragen der freien Wahl des Wohnorts und um Zuwanderung. Doch mehr noch wuchs die Besorgnis der Tory-Wählerschaft über die von der EU angeordnete Austeritätspolitik und die Auswirkung von EU-Vorschriften auf kleine und mittlere Unternehmen. Unter diesen Umständen betrachtete der für den Geschäftsbereich „Vermögensverwaltung“ zuständige Teil der Finanzelite die Anti-EU-Haltung als hilfreich, um die Massenbasis für die konservative Partei zu erhalten und zugleich die Geschäftsaussichten zu verbessern.

Im Ergebnis kam es zu dem Riss, der durch die konservative Partei geht und David Camerons Kabinett spaltete. Cameron und sein Finanzminister George Osborne vertraten die in die finanzpolitische und politische Allianz mit den USA eingebundenen großen Institutionen der Londoner City. Michael Gove und Boris Johnson strebten mit einer Anti-EU-Haltung die Führung in der konservativen Partei an. Theresa May, die als Innenministerin die drittwichtigste Position im Kabinett innehatte, nahm eine zurückhaltende Pro-EU-Haltung ein.

Nach dem Ergebnis des Brexit-Referendums und Camerons Rücktritt wurde sie zur naheliegenden Kompromisskandidatin – hatte sie doch das Vertrauen der großen US- und EU-nahen Institutionen, ohne Cameron und Osborne allzu eng verbunden zu sein. Was zu einer blutigen Auseinandersetzung unter der Führung der Pro-Brexit-Kabinettsmitglieder Johnson und Gove auszuarten drohte, wendete sich zur Krönung Theresa Mays, ohne dass eine Wahl stattfand. Medien und Meinungsbildner präsentierten sie als die einzige nationale Führungspersönlichkeit, die fähig sei, die EU-Austrittsverhandlungen zu führen, in einer Zeit, in der die Labour-Party angeblich in die Hände linker Extremisten gefallen sei.

Ihre ersten Stellungnahmen zeigten Mays Fähigkeit zu volksnahem Opportunismus. Sie suchte sowohl sich selbst als auch die neu aufgestellte konservative Partei von der bisherigen Austeritätspolitik zu distanzieren. Sie schwor, „sich in den Dienst der arbeitenden Bevölkerung zu stellen“ und „ein Land für alle zu schaffen und nicht nur für die paar Privilegierten“. Sie versprach, etwas an den hohen Gehältern leitender Angestellter zu tun und Arbeiter in den Vorständen der Konzerne zu platzieren. „Es ist nicht unternehmensfeindlich, wenn man darauf hinweist, dass das Großkapital sich ändern muss“ – man beachte den Begriff „Großkapital“.

Ihre ersten Handlungen zeigen ihren rücksichtslosen politischen Weitblick. Sie versuchte, die gefährlichsten der „Rebellen“ in der konservativen Führung einzubinden und zu neutralisieren. Boris Johnson wurde als Außenminister ins Kabinett geholt, zusammen mit sieben anderen Pro-Brexit-Konservativen – unter 18 Anti-Brexit-Mitgliedern. Der zweitbekannteste (und politisch gefährliche) Brexit-Befürworter Michael Gove wurde ausgegrenzt, zusammen mit George Osborne, dem früheren Finanzminister, dessen Name am engsten mit der Austeritätspolitik verbunden ist.

Aber wer ist Theresa May? Nach ihrem Abschluss in Oxford arbeitete sie zwei Jahre lang bei der Bank of England und dann zwölf Jahre auf Führungsebene bei der Association of Payment Clearing Services, einer halbstaatlichen Einrichtung, welche für die großen britischen Filialbanken arbeitet. Sie ist mit einem Investmentbanker verheiratet, der für „Capital International“ arbeitet. „Capital International“ hat seinen Firmensitz im britischen Offshore-Gebiet Isle of Man.

Sie ist eine Karrierepolitikerin, die ihr erstes Abgeordnetenmandat im Alter von 34 Jahren erstritt, und seit zwei Jahrzehnten in der Führung der konservativen Partei ist, deren Vorsitz sie 2002–2003 innehatte.

Politisch stand sie immer auf dem neoliberalen rechten Flügel der Partei. Sie war gegen die Einführung des Mindestlohns, sprach sich gegen gesetzliche Regelungen zur Steuerhinterziehung aus und unterstützte Kürzungen bei den Leistungen für Arbeitslose. Als Innenministerin gab sie der Polizei neue Befugnisse bei der Überwachung Sozialer Medien und beim Eingriff gegen Demonstrationen, verhängte drakonische Kontrollmaßnahmen für die Einwanderung aus Nicht-EU-Ländern und wurde vom Obersten Gericht Großbritanniens für ihre Abschiebungspolitik gegen Flüchtlinge kritisiert.

Vorläufig ist sie allerdings eine „patrio­tische Konservative“ und Vorkämpferin für die Sache der Arbeiter. Ihre politische Aufgabe ist es, den Austritt Großbritanniens aus der EU unter Bedingungen zu vollziehen, die den Zugang der US-Banken zum einheitlichen Markt weiter gewährleisten, und für die Konservative Partei eine neue politische Basis zu schaffen.

Sie wird nicht versuchen, den Brexit direkt anzufechten. Ihr Ziel wird sein, die Europäische Freihandelszone EFTA als Basis US-amerikanischen und britischen Einflusses wiederherzustellen und durch EFTA die neoliberalen Steuerungsmechanismen der EU zu sichern. Wichtiger noch, sie wird versuchen, den Austritt Großbritanniens aus der EU in einer Weise umzusetzen und alle institutionellen Hürden, die gebraucht werden, um jeden Versuch einer linken Labour-Partei zu blockieren, und die demokratische Kontrolle über die Wirtschaft wieder zu stärken. Dafür wird sie tatsächlich die politischen Fähigkeiten einer Frau Merkel benötigen.

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"Theresa May: Eine britische Angela Merkel?", UZ vom 29. Juli 2016



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