Im Zuge der China-Debatte ist kritisiert worden, dass der Antrag des Parteivorstands einen im Kontrast zum DKP-Programm stehenden Sozialismusbegriff enthalte. Den Kritikern wird wiederum vorgeworfen, zu stark auf das Vorbild der Sowjetunion und der DDR fixiert zu sein, obwohl diese doch gescheitert sind. Zudem seien ihnen alte Gewissheiten offenbar wichtiger als die praktischen Erfolge, die China in der Armutsbekämpfung vorweisen kann. Doch diese Argumentation ist zynisch, weil sie denjenigen, die auf ideologische Klarheit bedacht sind, Verbohrtheit und eine gewisse Herzlosigkeit unterstellt. Man kann die ökonomischen Erfolge Chinas durchaus anerkennen und sich erst recht der antichinesischen Hetze verweigern, ohne das Reich der Mitte als „sozialistisch“ zu adeln.
Im PV-Antrag heißt es über die „Theoretischen Grundlagen“: „Die Aufgabe des Sozialismus ist es, die Produktivkräfte derart voranzutreiben, dass die Menschheit die Klassengesellschaft, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, überwinden kann. Voraussetzung dafür ist die Hegemonie der Arbeiterklasse als dialektische Einheit von ideologischer Führung der Gesellschaft und politischer Herrschaft über die Bourgeoisie.“ Hier reibt man sich die Augen: Den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts gemäß ist der Aufbau des Sozialismus durch die – auch ökonomische – Entmachtung der Bourgeoisie geprägt. Ist diese Periode abgeschlossen – in der Sowjetunion wurde das 1937 proklamiert, in der DDR 1963 –, kann sich der Sozialismus also auf seinen eigenen Grundlagen entwickeln, existieren zwar noch Klassen, aber es bedarf keiner „Herrschaft über die Bourgeoisie“ mehr, weil sie und mit ihr die Ausbeutung bereits suspendiert sind. Vertritt man die Ansicht, dass die chinesischen Erfahrungen dieser historischen Erkenntnis widersprechen – was freilich logisch unmöglich ist, wenn dort der Aufbau des Sozialismus mindestens noch nicht abgeschlossen ist –, muss man das begründen.
Wer sich in die Zwickmühle begibt, dem hilft allerdings auch kein Walter Ulbricht. Im PV-Antrag wird dessen Verständnis vom Sozialismus als „relativ eigenständige Periode“ aufgegriffen (im Original von 1967: „relativ selbstständige sozialökonomische Formation“), was manche Kritiker des Antrags als weiteres Indiz für tektonische Verschiebungen unserer programmatischen Grundlagen ansehen. Jedoch eignet sich Ulbricht nicht als Pate eines Marktsozialismus. Er erstrebte ökonomische Effektivität, aber keinen Markt und erst recht keine Reprivatisierung. Das heutige China würde ihm so wenig behagen wie einst das „Yeah, yeah, yeah!“ der Beatles.
Am PV-Antrag nicht unproblematisch ist außerdem der Verweis auf die Marx-Bemerkung über die „politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats“. Diese Periode liegt – ausweislich jenes Zitats – „zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft“, das heißt zwischen der bürgerlichen Ordnung und dem Sozialismus, der zur kommunistischen Gesellschaftsformation gehört. Der entwickelte Sozialismus ist vor allem eine Demokratie: Teilhabe und Schöpfertum sind ihr Kraftquell, da beißt die Maus keinen Faden ab. Im PV-Antrag werden zwar nun mit Blick auf China der Bedarf an „Qualifikationen zur Führung eines Staates“ sowie die Notwendigkeit der Integration auch partikularer Interessen betont – aber inwieweit die teils extreme soziale Kontrolle der Menschen und die bürgerliche Durchseuchung der als Marktsubjekte agierenden Produzenten mit der Perspektive einer bewusst und planmäßig gestalteten Gesellschaft korrespondieren sollen, bleibt ein Rätsel.
Gewiss, das China-Thema bedarf eines aufmerksamen Studiums statt hochnäsiger „Notenvergaben“. Aber es würde einen methodischen Kopfstand bedeuten und von einer Verballhornung der marxistischen Theorie zeugen, nutzte man nicht diesen handwerklichen Instrumentenkasten zur Analyse der chinesischen Gesellschaft, sondern böge sich die Instrumente nach Maßgabe chinaaffirmativer Erfordernisse zurecht.