Sigmar Gabriel erklärt TTIP für „praktisch gescheitert“. Seine Chefin, Kanzlerin Angela Merkel widerspricht. Der Sprecher der EU-Kommission hält Gabriels Meinung für eine „Äußerung, wie sie im Sommer öfter vorkommt“. Die französische Regierung dagegen gibt Gabriel Recht. Sie werde die EU-Kommission im September auffordern, die Verhandlungen mit den USA zu beenden. Wie um diesen Politikwechsel zu unterstreichen, gab zugleich der erklärte Neoliberale, Wirtschaftsminister Emmanuel Macron seinen Rücktritt bekannt.
Der deutsche Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzende Gabriel ist sich dagegen sicher, dass das mit Kanada schon fertig verhandelte Handelsabkommen CETA beschlossen wird und dass seine Partei ihm dabei folgen wird. Mit Ceta werde niemandem etwas aufgezwungen, kein Land sei gehindert, höhere Standards zu entwickeln. Als Erfolg wertete er es erneut, dass es einen öffentlichen Handelsgerichtshof statt der bisher vorgesehenen privaten Schiedsgerichte geben sollte. Frank Bsirske, Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, hatte Tage zuvor gewarnt, dass die Richter ein materielles Interesse daran hätten, Verfahren privater Investoren gegen öffentliche Institutionen einzuleiten. Immerhin würden sie ein Grundgehalt von 2 000 Euro pro Monat bekommen, dagegen aber 3 000 US-Dollar pro Verhandlungstag, sollte ein Prozess stattfinden.
Der SPD-Vorsitzende betonte, CETA dürfe nicht mit den Verhandlungen über das Handelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) verwechselt werden. „Nach meiner Einschätzung sind die Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten de facto gescheitert, auch wenn es keiner so richtig zugibt.“ In 14 Verhandlungsrunden habe man nicht zu einem einzigen der 27 Kapitel einen gemeinsamen Text hinbekommen. „Wir dürfen uns den amerikanischen Vorschlägen nicht unterwerfen“, sagte Gabriel.
Aus allen Teilen der Union kam Kritik an Gabriel. CDU/CSU-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer schrieb bei Twitter zu Gabriels Abwenden von TTIP: „Schätze, der wichtigste Grund für diese Einschätzung sind die Parteilinken in der SPD.“
Abwegig ist die Einschätzung von Grosse-Brömer nicht, wenn sie auch Gabriel zu Unrecht unterstellt, er würde nicht im Interesse der deutschen Wirtschaft handeln. Die Verbraucherorganisation Foodwatch hatte ihm nicht umsonst Trickserei vorgeworfen. Gabriel wolle das CETA-Abkommen mit Kanada nur durchpeitschen, um den Weg für TTIP zu ebnen, hatte Foodwatch-Chef Thilo Bode gesagt. Das sei dessen Strategie: Gabriel rede CETA schön, weil er TTIP haben wolle.
Eine 70 Jahre alte Musiklehrerin aus Nordrhein-Westfalen hatte am Samstag eine der größten Bürgerklagen in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts eingereicht. Gegen CETA gibt es schon mehrere Verfassungsbeschwerden. Am 17. September sind zudem in mehreren deutschen Städten Demonstrationen gegen CETA und TTIP angekündigt.