„Auch wenn manche Aktionen der PKK Terrorcharakter haben, ist die PKK keine Terrororganisation, sondern eine bewaffnete politische Bewegung, deren politische Forderungen eine große Unterstützung in der Bevölkerung genießen.“ Das hatte Tahir Elci, Rechtsanwalt und Vorsitzender der Anwaltskammer von Diyarbakir, im Oktober in einer Talkshow erklärt. Daraufhin wurde er festgenommen und nur unter Auflagen wieder entlassen. Die Staatsanwaltschaft leitete wegen dieser Äußerung ein Ermittlungsverfahren gegen Elci ein und forderte sieben Jahre Haft.
Am vergangenen Samstag gab Elci eine Pressekonferenz, die er mit dem Satz schloss: „Wir möchten hier keinen Krieg, keine Auseinandersetzungen und Waffen haben.“ Daraufhin fielen Schüsse, ein Geschoss traf Elci in den Kopf, er starb. Anwesende Polizisten eröffneten ebenfalls das Feuer, die Täter konnten fliehen.
Der türkische Präsident Erdogan erklärte nach dem Mordanschlag, es zeige sich erneut, wie wichtig es sei, dass der türkische Staat den Terrorismus bekämpfe. Mit Kampf gegen den Terror meint Erdogan vor allem den Kampf gegen die PKK und die kurdische Bevölkerung. In der vergangenen Woche ließ die Regierung Journalisten der linksliberalen Zeitung Cumhuriyet verhaften, weil sie Berichte über Waffenlieferung des türkischen Geheimdienstes an den IS in Syrien berichtet hatten – es handele sich um Staatsgeheimnisse.
Die EU hinderte das nicht daran, am vergangenen Wochenende ein Abkommen mit der Türkei zu schließen, dass das Ziel verfolgt, „den Zustrom syrischer Flüchtlinge nach Europa einzudämmen“. Die EU zahlt drei Milliarden Euro für die gut zwei Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte, das Geld solle ausschließlich zur Flüchtlingshilfe, also zur Gesundheitsversorgung oder für Schulen dienen. Ankara sichert im Gegenzug zu, heimische Küsten „besser zu schützen und effektiver gegen Schlepper vorzugehen“.
Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sprach von einem Neuanfang: Die Mitgliedschaft seines Landes in der EU sei ein „strategisches Ziel“. Nun sollen die für lange Zeit faktisch eingefrorenen Verhandlungen über den EU-Beitritt der Türkei vorangetrieben werden.
Woher die drei Milliarden Türkei-Hilfe kommen sollen, war bis zum Ende des Treffens noch unklar. Die Türkei erwartet, dass drei Milliarden Euro nicht einmalig, sondern jährlich gezahlt werden.
EU-Gipfelchef Donald Tusk machte deutlich, dass die Türkei eine Schlüsselrolle in der „Flüchtlingskrise“ spielt. Er meinte damit aber nicht die Rolle des türkischen NATO-Partners im Krieg gegen die syrische Regierung. Etwa 1,5 Millionen Menschen seien 2015 „illegal in die EU gekommen“, sagte er. „Die meisten von ihnen sind durch die Türkei gekommen.“ Das Land beherbergt nach Angaben aus Ankara allein rund 2,2 Millionen syrische Menschen, die vor dem Krieg in Syrien geflohen sind, den die Türkei täglich mit anheizt.
Die Vertreter der EU und der Mitgliedstaaten schlossen neue Freundschaft mit dem Regime von Ankara, obwohl selbst in den Führungsetagen der EU in Brüssel seit Jahren „Defizite bei der Rechtsstaatlichkeit und bei der Pressefreiheit in der Türkei“ bemängelt werden. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sagte dazu lediglich, Meinungsverschiedenheiten würden nicht unter den Tisch gekehrt.
„Das ist ein Kotau der Bundesregierung vor dem Despoten Erdogan. Wer Erdogan für Rückschritte bei Menschenrechten derart belohnt, leistet Beihilfe bei der Verfolgung von Kurden, Oppositionelle und Journalisten in der Türkei“, kommentierte Sevim Dagdelen, Sprecherin für internationale Beziehungen der Linkspartei-Fraktion im Bundestag, das Abkommen.