Abwärtsspirale: Wer wenig Geld hat, zahlt oft mehr für die Erfüllung von Grundbedürfnissen

Teure Armut

Geringverdiener und Arbeitslose leiden besonders unter den hohen Preisen für Energie, Wohnen und Lebensmittel. Ihr monatliches Budget ist mit diesen Posten oft schon ausgereizt. Preissteigerungen in diesen grundlegenden Bereichen können nicht durch Einsparungen bei anderen Posten abgefangen werden. Die Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse ist unmittelbar gefährdet.

Unabhängig von der aktuellen Inflation gilt: Wer arm ist, muss für viele Leistungen mehr hinblättern als finanziell gut situierte Haushalte. Das fängt mit der Wohnung an. Einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2017 zufolge liegt das mittlere Nettoeinkommen von Haushalten in Wohnungen, die im Jahr 2000 oder später erbaut wurden, bei 3.000 Euro pro Monat. Haushalten in vor 1976 erbauten Wohnungen stehen hingegen weniger als 2.000 Euro monatlich zur Verfügung. Ältere Wohnungen sind oft in schlechterem baulichen Zustand und haben überalterte Heizungen. Wer nicht frieren möchte, muss entsprechend tiefer in die Tasche greifen. Zudem fehlt Haushalten mit niedrigem Einkommen Geld für die Anschaffung energieeffizienter Haushaltsgeräte. Das schmerzt diejenigen doppelt, die Strom und Gas im Grundversorgertarif beziehen, bezahlen sie doch ohnehin mehr für ihren Energieverbrauch als Sonderkunden.

Happig wird es, wenn Verbraucher mit Miete oder Energierechnungen in Verzug geraten. Mahngebühren und Strafzinsen erhöhen den Außenstand zusätzlich. Ab einem Rückstand von 100 Euro sind Strom- und Gassperren gesetzlich möglich, wenn der Energieversorger erfolglos gemahnt hat und die Sperre vier Wochen im Voraus ankündigt. Ist die Versorgung eingestellt, wird die Wiederherstellung richtig teuer: Zusätzlich zum Rückstand muss der Verbraucher dann noch empfindliche Gebühren für Sperrung und Entsperrung überweisen.

Mietschulden führen schnell in eine ähnliche Abwärtsspirale. Nach § 543 des Bürgerlichen Gesetzbuches sind Räumungsklagen möglich, wenn ein Mieter zwei Monatsmieten gar nicht bezahlt hat oder in zwei aufeinander folgenden Monaten nicht vollständig bezahlt hat und die Mietschulden mindestens einer Monatsmiete entsprechen oder mehr als zwei Monate in Folge nicht vollständig bezahlt hat und die Mietschulden mindestens zwei Monatsmieten entsprechen. Hat eine Räumungsklage eines Vermieters Erfolg, droht Obdachlosigkeit. Zu den Mietschulden kommen dann noch Gerichtskosten, Kosten für den Auszug und für die eventuelle Einlagerung des Mobiliars.

Zu den Primärschulden, also Zahlungsrückstände, die für den Schuldner und dessen Haushalt existenzbedrohend sind, zählen neben Miet- und Energieschulden auch offene Krankenkassenbeiträge und Geldstrafen sowie Bußgelder. Wer Primärschulden nicht begleichen kann, sollte sich sofort an eine Schuldnerberatungsstelle wenden.

Kostenfreie gemeinnützige Schuldnerberatungsstellen werden von Kommunen, Verbraucherzentralen und Wohlfahrtsverbänden betrieben. Der Bedarf übersteigt das Angebot seit vielen Jahren deutlich. Laut Statistischem Bundesamt betrug die Wartezeit auf eine Erstberatung im Jahr 2016 im Schnitt zehn Wochen, in jedem zehnten Fall sogar länger als zwanzig Wochen. Rasant steigende Energiepreise, immer teurer werdende Mieten und die hohe Inflation – im Februar lag sie in Deutschland laut Eurostat schon bei 5,8 Prozent – treiben immer mehr Menschen in die Überschuldungsfalle. Dazu kommen die Folgen der Corona-Pandemie, die sich zeitverzögert auswirken. 32 Prozent der Haushalte müssen immer noch Einbußen ihres Nettoeinkommens verkraften, so der „Schuldner­Atlas Deutschland 2021“ der Wirtschaftsauskunftei Creditreform. „Die Nachwirkungen der Pandemie werden sich vollumfänglich erst nach Auslaufen der großzügigen Kurzarbeitergeld-Regelungen in den Insolvenzzahlen zeigen“, vermutet Steffen Müller, Forscher am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle. Bis zu 16.300 Unternehmen könnten in diesem Jahr Insolvenz beantragen, schätzt der Kreditversicherer Euler Hermes. Private Haushalte werden folgen: 110.000 Privatinsolvenzen prognostiziert die Wirtschaftsauskunftei Crif für dieses Jahr. Denn im Kapitalismus gilt: „Wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden.“ (Matthäus 25:29)

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"Teure Armut", UZ vom 11. März 2022



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