Zum Polizeiskandal „NSU 2.0“

Terrornetzwerk reloaded

Die Zahl der Politikerinnen und mittlerweile auch Politiker, Künstlerinnen und Journalistinnen, die vom neofaschistischen Terrornetzwerk „NSU 2.0“ mit Droh- und Hassmails bedacht werden, steigt kontinuierlich. Knapp 70 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens werden derzeit bedroht.

Die hessische Landesregierung aus CDU und Bündnis 90/Die Grünen und die dortige Polizei haben die Bedrohungen, die im Fall der Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz bereits im August 2018 (!) ihren Anfang nahmen, über lange Zeit bagatellisiert. Nun weitet sich der „NSU 2.0“-Komplex zu einem handfesten Skandal aus. In einer Reihe der E-Mails, in denen die Betroffenen oder ihre Familienangehörigen teils mit dem Tod bedroht werden, finden sich nichtöffentliche Daten, die zumindest in einigen Fällen von hessischen Polizeicomputern in Frankfurt am Main und Wiesbaden abgefragt wurden. Im Rahmen der zaghaften Ermittlungen erhärtete sich gegen etwa 70 hessische Polizisten der Verdacht, möglicherweise rechtsextrem zu sein. Welche personalrechtlichen und juristischen Konsequenzen gezogen wurden, ist bisher nicht bekannt.

Der „NSU 2.0“-Komplex bestätigt, was Antifaschisten schon immer kritisierten: In den sogenannten Sicherheitsbehörden bestehen extrem rechte Strukturen und Netzwerke, die sich gefährlich verselbstständigt haben. Dies geht einher mit anhaltenden Skandalen um gestohlene Munition und Waffen bei der Bundeswehr und einer übergroßen Anzahl an Neonazis in den Reihen des „Kommandos Spezialkräfte“ (KSK).

Dass neofaschistische und rassistische Soldaten und Polizisten über gute Kontakte in das Milieu von Reichsbürgern und sogenannten „Preppern“ verfügen, die sich auf den „Tag X“ vorbereiten, um dann mit Waffengewalt die Macht an sich zu reißen und potenzielle politische Gegner auszuschalten, ist kein Geheimnis. Sollte der etablierten Politik daran gelegen sein, Schattenarmeen, wie sie derzeit in den USA mit dem Segen des Präsidenten Donald Trump ihr Unwesen treiben, in Deutschland zu verhindern, muss der im Staatsdienst aktive braune Sumpf trockengelegt werden.

Es rächt sich, dass Politik und Behörden das ursprüngliche NSU-Terrornetzwerk stets als Drei-Personen-Gruppe einstuften. Wer sagt denn, dass im „NSU 2.0“ nicht Neofaschisten aktiv sind, die es auch im NSU schon waren? Für halbherzige Ermittlungen und Erklärungsversuche ist es schon lange zu spät.

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"Terrornetzwerk reloaded", UZ vom 31. Juli 2020



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