Weltweit finden Proteste gegen die völkerrechtswidrigen Invasion der Türkei in Nordsyrien statt. In der Türkei selbst sind derlei Antikriegsproteste nicht möglich. Seit dem gescheiterten Militärputsch im Juli 2016 herrscht in dem NATO-Mitgliedsland der Ausnahmezustand. Er wird in schöner Regelmäßigkeit verlängert. Staatschef Recep Tayyip Erdogan und seine islamistische AKP-Regierung greifen mit harter Hand durch, schüchtern Andersdenkende ein, sperren Kriegsgegner weg und sorgen so für ein permanentes Klima der Angst. In den ersten zehn Tagen der Angriffe auf Afrin wurden bei landesweiten Razzien laut Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu fast 600 Menschen verhaftet. Wer „Nein zum Krieg“ sagt, wird von Erdogan zum „Terroristenliebhaber“ abgestempelt und ausgeschaltet.
Den Festgenommenen wird vorgeworfen, in den sozialen Medien „Propaganda“ für die von der türkischen Führung als Terrororganisation eingestuften YPG zu betreiben, die als syrischer Ableger der Arbeiterpartei Kurdistans PKK gilt. Die „Operation Olivenzweig“ soll nicht nur die YPG aus Afrin vertreiben, die türkische Armee soll vielmehr das gesamte syrische Grenzgebiet bis zum Irak okkupieren.
Der Aggressionskrieg wird von allen großen Medien unterstützt. Gleich zu Beginn der Offensive wurden türkische Journalisten von Ministerpräsident Binali Yildirim einbestellt und zu „patriotischem Journalismus“ verpflichtet. Auch die kemalistische Oppositionspartei CHP und die rechte MHP stehen hinter Erdogans Feldzug. Die einzige Partei, die die Angriffe offen kritisiert, ist die HDP, deren Vorsitzende Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag schon seit November 2016 wegen „Terrorpropaganda“ inhaftiert sind, ebenso wie hunderte kommunale Mandatsträger der prokurdischen Partei.
Für internationalen Protest sorgt der Coup der türkischen Regierung gegen den größten Ärzteverband der Türkei TTB. Elf Vorstandsmitglieder wurden am 30. Januar festgenommen, darunter der Direktor Rasit Tükel. Ihnen wird „Propaganda für eine Terrororganisation“ und „Aufwiegelung des Volks zu Hass und Feindseligkeit“ vorgeworfen. Das „Verbrechen“ der Mediziner: Eine von ihnen veröffentlichte Stellungnahme gegen die „Operation Olivenzweig“ warnte vor „irreparablen Schäden“ durch Krieg, bezeichnete ihn als ein „Problem der öffentlichen Gesundheit“ und endete mit „Nein zum Krieg. Frieden, jetzt sofort!“
Der Weltärztebund WMA kritisierte die Festnahmen scharf. Die Türkei müsse die TTB-Mitglieder umgehend freilassen und die „Einschüchterungskampagne“ beenden, erklärte Verbandschef Yoshitake Yokokura. In Deutschland bekundete der Marburger Bund seine Solidarität: „Wir sind erschüttert, dass unsere Kolleginnen und Kollegen in der Türkei verhaftet worden sind und fordern ihre sofortige Freilassung“, heißt es in einer Erklärung des Vorsitzenden Rudolf Henke. Wer für den Frieden eintrete und auf die verheerenden Folgen eines Krieges hinweise, handele nach der obersten Maxime aller Ärztinnen und Ärzte und mache von seinem Menschenrecht der freien Meinungsäußerung Gebrauch. „Die medizinische Profession ist der Menschlichkeit verpflichtet. Nichts anderes haben die türkischen Ärzte zum Ausdruck gebracht. Wir fordern die Bundesregierung auf, bei der türkischen Regierung umgehend auf die Freilassung unserer Kolleginnen und Kollegen der Türkischen Ärztevereinigung hinzuwirken“, so Henke. Die Proteste zeigten Erfolg, am 5. Februar kamen die verhafteten TTB-Ärzte wieder frei, wenn auch unter Auflagen.
In einem offenen Brief fordern auch mehr als 90 Künstler, Kulturschaffende und Wissenschaftler in Deutschland Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Sigmar Gabriel auf, zur „Operation Olivenzweig“ eindeutig Stellung zu beziehen. Vergebens.