Teilkapitulation

Arnold Schölzel zum Verhältnis der Kanzlerin zu den USA

Arnold Schölzel ist stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung „junge welt“.

Arnold Schölzel ist stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung „junge welt“.

Am Tag nach dem Platzen der „Bombe aus der Air Force One“ (faz.net), der Absage Donald Trumps an das zuvor vereinbarte Abschlußkommuniqué des G7-Gipfels, eilte die Kanzlerin ins Fernsehstudio von Anne Will und erklärte das Spektakel für „ernüchternd und auch ein Stück deprimierend“. Das war für ihre Verhältnisse, wie sie selbst meinte, weitgehend. Die Verunsicherung wächst auch in den Chefetagen.

Der tiefere Grund ist selbstverständlich nicht diese oder jene Figur im Weißen Haus. Es geht vielmehr um die anhaltende Überakkumulationskrise und die Erosion des Wohlstands, den der Imperialismus angesichts der sozialistischen Gefahr seit mehr als 100 Jahren verspricht. Auch unten in der Gesellschaft breitet sich Unruhe aus. Was hat Merkel also anzubieten? Zweierlei. Neben der rituellen Wiederholung der Formulierung aus dem Bierzelt in München-Trudering von Ende Mai 2017, „wir“ Europäer müssten das Schicksal „wirklich in die eigene Hand nehmen“, betonte sie nun zugleich, an der „Partnerschaft“ mit den USA festzuhalten. Letztere ist Gegenwart, das andere ferne Zukunft.

Merkel erläuterte in diesem Sinn ihre Devise: Keine Teilnahme am transatlantischen Wettbewerb im verbalen Anheizen. Dem widmen sich andere hingebungsvoll. Emmanuel Macron beschwor bereits am 30. Mai das Desaster der Weltwirtschaftskrise vor fast 90 Jahren: „Der wirtschaftliche Nationalismus führt zum Krieg.“ Unmittelbar vor dem Gipfel hatte er wie auch Merkel angekündigt, notfalls werde es nur ein Kommuniqué von sechs Teilnehmern geben. Anders aber als die deutsche Regierungschefin warnte er zugleich die USA davor, eine „brutale Vormachtstellung“ anzustreben.

Bevor die Kanzlerin nun am Sonntag zu Mäßigung riet, hatte Trumps Lieblingswirtschaftswissenschaftler Peter Navarro, den der US-Präsident zum „Direktor für Handel und Industriepolitik“ und Leiter eines neugeschaffenen Nationalen Handelsrates ernannt hatte, bei Fox-News gewütet und dem kanadischen Premier Justin Trudeau mit der „Hölle“ gedroht: Dieser habe „versucht, ihm ein Messer in den Rücken zu rammen, wenn er zur Tür hinausgeht.“ Navarro, der vehement für wirtschaftlichen Protektionismus eintritt und insbesondere China als Gefahr für die USA attackiert, behauptete zugleich Trump habe Trudeau einen Gefallen getan, indem er zu dem Gipfel gereist sei, obwohl er wegen des Treffens mit Kim Jong Un wichtigere Dinge zu tun gehabt habe. Der US-Präsident sei sogar bereit, „dieses sozialistische Kommuniqué zu unterzeichnen.“

Gekläff dieser Art gehört zu Trumps Politikstil, ändert aber nichts am Kräfteverhältnis. Das führte Merkel nüchtern als wichtigstes Argument für weitere „Partnerschaft“ an: Die überragende wirtschaftliche und militärische Macht des größten imperialistischen Landes. Von „Wertegemeinschaft“ oder „Demokratie“ war an diesem Abend keine Rede – kein Verlust. Die Bundeskanzlerin proklamierte de facto ein imperialistisches Bündnis der Bundesrepublik und der EU mit den USA auf Zeit. Das ist der Kern ihrer Vorschläge: In kleinen Schritten, aber beharrlich, soll das Konstrukt EU in die Lage versetzt werden, sein wirtschaftliches Gewicht in globale politische und vor allem militärische Aktivität umzusetzen, eben das „Schicksal in die eigene Hand zu nehmen“. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erscheint der deutschen Kanzlerin alles andere jedoch machtpolitisch als Nonsens.

Die Unterwerfungsgeste gegenüber Washington ergänzt sie so mit dem Verweis auf eigene langfristige Pläne – und nennt – vor Wirtschaft, Forschung und Entwicklung, Künstlicher Intelligenz etc. an erster Stelle das Militär. Es sei, meinte Merkel bei Anne Will stolz, innerhalb eines Jahres gelungen, die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO) in der Militär- und Rüstungspolitik zu etablieren. Bei deren Gründung durch 25 EU-Staaten im November 2017 meinte die „Zeit“, PESCO sei eine Antwort auf Donald Trump. Das ist nur bedingt richtig. Wie Merkel nun prognostizierte, wird es 20 bis 30 Jahre dauern, bis eine EU-Truppe stehen könnte. Nützlich sei diese Kooperation aber schon jetzt, weil sie ohne Änderung der EU-Verträge von den Regierungen, nicht durch Parlamente oder gar Referenden, betrieben werde.

Fazit: Im Handelskrieg mit den USA signalisiert die Bundesregierung vor dessen Beginn bereits eine deutsche Teilkapitulation. Auf allen anderen Feldern soll es aber in der EU und in der Rivalität mit den USA vorangehen – deutsche Führung inbegriffen. Innerimperialistische Konflikte, weiß die Kanzlerin, werden durch Macht und zumeist durch Gewalt „gelöst“.

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"Teilkapitulation", UZ vom 15. Juni 2018



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