Stolpersteine für Thälmann-Familie in Singen verlegt

Teddy in Singen

Von Manfred Dietenberger

Gunter Demnig verlegt die Stolpersteine für die Familie Thälmann.

Gunter Demnig verlegt die Stolpersteine für die Familie Thälmann.

( Manfred Dietenberger)

In Singen am Hohentwiel erforscht die Initiative „Stolpersteine für Singen – gegen Vergessen und Intoleranz“ in mühevoller Kleinarbeit seit 2009 akribisch das Schicksal von Nazi-Opfern in ihrer Stadt. Dank ihres couragierten Engagements konnten schon über 60 Singener Nazi-Opfer mit dem Verlegen von Stolpersteinen dem Vergessen entrissen werden. Am 21. kamen sieben weitere dazu. Darunter auch drei die vor dem Wohnhaus in der Rielasinger Straße 180 in Singen, wo die Familie Thälmann ihre letzte Zuflucht fand, bevor sie von den Nazis verhaftet und ins Konzentrationslager deportiert wurden. Schon im Vorfeld berichteten Presse, Rundfunk und Fernsehen bundesweit von der geplanten Verlegung der Stolpersteine.

Auslöser war ein Offener Brief des baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten (Wahlkreis Singen) Wolfgang Gedeon. Er schrieb: „Mit ihren Aktionen versuchen die Stolperstein-Initiatoren ihren Mitmenschen eine bestimmte Erinnerungs-Kultur aufzuzwingen und ihnen vorzuschreiben, wie sie wann wessen zu gedenken hätten. Ich fordere die Singener Bevölkerung auf, sich solchem Ansinnen und solchen Aktionen zu widersetzen.“ Doch die Bürger Singens gingen dem braunen Rattenfänger nicht auf den Leim, sondern beteiligten sich besonders zahlreich an der Stolperstein-Verlegung. Mit dabei auch viele Schüler, beispielsweise aus der 12. Klasse des Friederich-Wöhler-Gymnasiums.

Warum auch ein Stein für den früheren Vorsitzenden der KPD, Ernst Thälmann, verlegt wurde, der anders als seine Frau und Tochter selbst nie in Singen wohnte, begründete der bekannte Kölner Antifaschist und Künstler Gunter Demnig so: „Ernst gehört zu seiner Familie und deshalb gebührt ihm ein Stolperstein am letzten Wohnort der Familie.“ Hans-Peter Storz, Sprecher der Initiative, verwahrte sich gegen „niederträchtige“ Äußerungen des MdL Wolfgang Gedeon. Die Singerner Bürgermeisterstellvertreterin Ute Seifried schloss sich ihm an und sagte der Stolperstein-Initiative namens der Stadt Singen jede weitere Unterstützung zu. Auch die beiden aus Hamburg und Berlin angereisten Vertreter der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte und der Gedenkstätte Ziegenhals kritisierten den AfDler heftig und zeigten klare Kante gegen AfD, Neofaschismus und Antikommunismus. Viktoria Hartmann, die intensive Nachforschungsarbeit über das Leben von Mutter und Tochter Thälmann geleistet hatte, erzählte den sehr aufmerksam zuhörenden Teilnehmern kenntnisreich und mit die Herzen ihrer Zuhörer erreichenden Worten, wie es dazu kam, dass es die beiden Frauen nach Singen verschlug und welch grausame Zeit diese im Frauen-KZ Ravensbrück durchleiden mussten.

Die Familie von Ernst Thälmann, wohnte ursprünglich in Hamburg. Nach den schweren Bombenangriffen auf die Stadt zog Rosa Thälmann mit ihrer Tochter Irma nach Singen/Hohen­twiel. Es waren familiäre, freundschaftliche und politische Gründe, die für die Stadt am Bodensee sprachen. Bereits in der Weimarer Republik gab es eine enge Freundschaft zwischen der Familie Ernst Thälmanns und der Singener Arbeiterfamilie Max Maddalenas, der mit Thälmann im ZK der KPD aufs Engste zusammenarbeitete. Dessen Singener Genosse Georg Blohorn organisierte zwischen 1942 bis April 1944 mit seiner als „Speyer Kameradschaft“ getarnten Solidaritätsorganisation illegal Lebensmittel für die Thälmanns, um ihre schwierige Lage wenigstens etwas zu erleichtern. Am 16. April 1944, dem Geburtstag Ernst Thälmanns, wurde Irma Thälmann in Singen verhaftet. Zwanzig Mann stürmten in die Wohnung, das Haus war umstellt. Die Gestapoleute hausten wie die Räuber. Am 8. Mai 1944 wurde dann auch Rosa Thälmann verhaftet. Mutter und Tochter kamen beide in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Auf dem Transportschein stand der Vermerk „Rückkehr unerwünscht“. Dank der Solidarität der illegalen Widerstandsorganisation im Lager überlebten beide. Ernst Thälmann wurde nach über elfjähriger Kerkerhaft am 18. August 1944 im KZ-Buchenwald ermordet. Nach der Befreiung übersiedelte Rosa Thälmann mit ihrer Tochter Irma, verheiratete Vester, in die DDR. Rosa Thälmann starb 1962, Tochter Irma im Jahre 2000. Besonders bewegend war der Moment, als die eigens für diesen Tag aus Berlin angereiste Enkelin Thälmanns, Vera Dehle-Thälmann, rote Nelken auf die frisch für ihre Familie verlegten Steine niederlegte.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Teddy in Singen", UZ vom 2. März 2018



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Flagge.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit