Düsseldorf, Tonhalle, kurz nach Mitternacht: Müde und überfordert quält sich der Menschenstrom aus den Sitzen und wankt dem Ausgang entgegen. Vier Stunden (in Zahlen: 4!) sind vergangen, seit Hagen Rether sich neben sein Klavier gesetzt hat, um einen Monolog über die Rettung des Planeten, den Schutz der „liberalen Demokratie“ und das richtige Leben im Falschen zu halten. Die Bühne hat er inzwischen verlassen, doch seiner Rede tut das keinen Abbruch: Hinter dem Vorhang warnt Rether, dass die Parkhäuser bereits geschlossen sind. „Wir schaffen das“, wird Merkel zitiert – die letzte Pointe des Abends schwebt über der gut gekleideten Menschenmenge, die sich langsam Richtung Freiheit schleppt.
Die „Freiheit“ ist eines von Rethers großen Themen an diesem Abend. Wer ihm zuhört, merkt schnell: Mit Befreiung hat das nur wenig zu tun. Rether ist kein Revolutionär und vermutlich auch weniger Kabarettist, als ihm lieb ist. Neben dem Klavier sitzt die menschgewordene „taz“. Linksliberale Evergreens werden zu bedeutungsschwangeren Texten verquirlt, treffende Pointen – die gibt es auch – vom endlosen Sermon zermahlen.
Rether spottet über die Ökobilanz des Dalai Lama, den „Peter Lustig für enttäuschte Christen“. Das ist witzig, aber nutzlos. Denn was hilft es der Aufklärung, wenn die Religionskritik in die Erzählung der Herrschenden eingebettet ist? Rether fantasiert über die vermeintliche Unterdrückung der Uiguren und über die angebliche Zerstörung der tibetischen Kultur. Partei für das mittelalterliche Folterregime zu ergreifen, das Tibet vor der Befreiung beherrschte, traut er sich dann aber doch nicht. Es ist die Feigheit, die das politische Kabarett entkernt – und den Abend so ärgerlich macht.
Über den Krieg erfährt das Publikum, dass „Putin den Fleischwolf angeworfen“ habe. Argumente braucht Rether dafür nicht. Die Militarisierung der gesamten Gesellschaft? Kein Thema. „Habeck ist ein Kriegstreiber“, habe mal eine Zuschauerin dazwischengerufen, erzählt er. „Schön, dass Sie auch da sind, Frau Wagenknecht“, habe er geantwortet. Der Saal lacht.
Rether prangert Antisemitismus an, verliert aber kein Wort zu der völlig verqueren Antisemitismusdebatte hierzulande. Zum Völkermord in Gaza schon gar nicht. Über die soziale Krise spricht Rether in Auszügen, beklagt die Situation der Frauen in einer Gesellschaft, die nach Nachwuchs schreit, aber weder Hebammen noch vernünftige Kitas oder Schulen bereitstellt. Hörbare Begeisterung kommt im Publikum auf, wenn Rether die Grünen lobt. Schließlich rede Robert Habeck doch ganz anders als Christian Lindner, die „narzisstische Luftpumpe in der Adoleszenzkrise“.
Und so langsam dämmert dem Rezensenten das Problem. Hier geht es gar nicht um Politik. Klar hat Rether recht, wenn er sich darüber beschwert, dass man heute überhaupt noch über Feminismus reden muss, weil die Unterdrückung der Frau trotz aller Aufklärung fortbesteht. Natürlich kann man ihm zustimmen, wenn er die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen beklagt.
Doch der aufklärerische Habitus erstickt an Rethers Unwillen, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu hinterfragen. Die Macht im Staat spielt keine Rolle, das Eigentum an den Produktionsmitteln schon gar nicht. Im Kleinen handeln und sich besser fühlen, lautet die Devise. Zu diesem Zwecke singt Rether ein Loblied auf die Scham. Er habe sich geschämt, weil er Fleisch gegessen habe, und sei Vegetarier geworden. Dann habe er sich geschämt, weil auch Hitler Vegetarier war. Nun sei er Veganer, skizziert Rether seine Vorstellung vom Fortschritt. Er spottet über Haustierbesitzer, kritisiert billige Urlaubsflüge und alle, die „den Planeten weggrillen“. Und was tun? Das eigene Verhalten verbessern, richtig wählen und Milliardäre besteuern, um die „liberale Demokratie“ zu retten.
Vielleicht, ganz vielleicht, denkt sich der Rezensent nach vier Stunden Dämmerzustand, kann all das als Anstoß für weitergehende Gedanken dienen. Möglicherweise arbeitet sich ein von der Schlechtigkeit der Welt frustriertes Publikum auf seinem Weg in die Realität ja daran ab, dass der Kampf gegen die Resignation nur durch Bewegung und gemeinsames politisches Handeln gewonnen werden kann. Vielleicht war es ja doch Kabarett? „Das sollte Pflichtprogramm im Wahlkampf sein“, sagt eine Grüne beim Hinausgehen zur anderen. Na gut, dann eben nicht.
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