UZ: Wie sieht der Abschluss im Einzelnen aus?
Volker Metzroth: Gefordert waren u. a. 5 Prozent auf 12 Monate und eine stärkere Anhebung der unteren Einkommensgruppen. Nach zwei Leermonaten im Februar und März in diesem Jahr gibt es nun eine erste Lohnerhöhung um 2,2 Prozent, ab dem 1. Februar 2017 nochmals 2,1 Prozent. Die von den Medien verkündeten 4,3 Prozent relativieren sich nach der Westrick-Formel auf 2 Prozent jährliche Erhöhung ab Februar 2016. Bei den unteren Lohngruppen ist es etwas mehr, da deren erste Erhöhung 2,6 Prozent beträgt.
Die Erhöhungen der Ausbildungsvergütungen und Vergütungen der Dualen Studenten betragen 35 Euro ab 1. April 2016 und weitere 25 Euro ab 1. April 2017. Gefordert waren 60 Euro, womit hier die Hälfte durchgesetzt wurde. Der Ausschluss betriebsbedingter Beendigungskündigungen wurde auf den 31. Dezember 2018 verlängert. Für ehrenamtliche ver.di-Funktionsträger in regionalen oder zentralen Gremien gibt es zusätzliche weitere fünf Arbeitstage bezahlten Sonderurlaub jährlich. Der „Rest“ ist nicht unwichtig, wegen seiner Telekomspezifik hier aber nicht kurz darstellbar.
UZ: ver.di-Verhandlungsführer Michael Halberstadt sieht mit dem Abschluss eine deutliche Reallohnsteigerung. Sehen die KollegInnen das auch so?
Volker Metzroth: Was ist denn eine deutliche Reallohnsteigerung? Der Reallohn misst sich am Nettoeinkommen, das aufgrund der kalten Progression bei der Lohn- und Einkommenssteuer prozentual immer etwas weniger als das Brutto ist. Legt man die auszugleichende Inflation des letzten Jahres mit 0,9 Prozent oder die für 2016 zu erwartende mit 0,5 Prozent zugrunde, dann bleiben je nach individueller Steuerlast von den 2,2 bzw. 2,6 Prozent zwischen 1 und 1,5 Prozent in diesem Jahr übrig. Das ist eine Reallohnsteigerung. Gemessen an den plus 10 Prozent bei den Dividenden (von 0,50 auf 0,55 Euro pro Aktie) aber doch wohl eher bescheiden. Bei einem derzeit prognostizierten Wirtschaftswachstum von 1,6 Prozent in 2016 und 1,5 Prozent für 2017 ändert der Abschluss im besten Fall nichts an den Verteilungsverhältnissen. Dennoch sind in meinem Umfeld nach ersten Gesprächen viele KollegInnen zufrieden, hatten doch viele nach eigener Aussage hier nicht viel mehr erwartet.
Positiv ist jedenfalls, dass es in der vierten Tarifrunde hintereinander gelang, für die unteren Einkommensgruppen etwas mehr durchzusetzen. Das ist gar nicht nach dem Geschmack der Telekom-Manager, die immer wieder andeuten, dass sich z. B. einige Callcenterbereiche dann nicht mehr rechnen würden und man die Arbeit dann an Dritte vergeben müsse, wo tatsächlich wesentlich schlechter bezahlt wird. An der Stelle wird deutlich, wie mangels Kampfkraft schlechter oder gar nicht tarifierte Bereiche auf gut organisierte drücken. Hier hat der von den Gewerkschaften mit erkämpfte Mindestlohn etwas Druck genommen. Es wird deutlich, wie verzahnt unterschiedliche Kampffelder sind und dass ein höherer Mindestlohn im Interesse aller KollegInnen ist.
UZ: Welche Bedeutung hatte der vereinbarte Kündigungsschutz in dem Arbeitskampf? Vereinbart wurde ja auch die Verlängerung des Ausschlusses betriebsbedingter Beendigungskündigungen bis zum 31. Dezember 2018 für alle Beschäftigten bei den T- Service-Gesellschaften, TDG und DTAG und für Beschäftigte der RSS GmbH.
Volker Metzroth: Dieser Punkt ist den meisten KollegInnen wichtiger als einige Zehntel Lohnprozente, weshalb viele mit dem Abschluss zufrieden sind. Zwar sind die Vermutungen über den Zeitpunkt unterschiedlich, aber Fakt ist, dass die Telekom den Netzausbau in naher Zukunft für im Wesentlichen beendet ansieht und dann glaubt, auf einige zehntausend Beschäftigte verzichten zu können. Diese Regelung bedeutet auch einen gewissen Schutz gegen Fremdvergabe von Arbeiten, die sich ja nur rechnet, wenn man eigene Leute loswerden kann. Ein absoluter Schutz ist sie nicht; denn das Kapital entscheidet auch hier über die Betriebsorganisation. Wer im Zuge von Konzentrationsprozessen seinen Arbeitsplatz plötzlich statt 50 nun 150 Kilometer vom Wohnort entfernt vorfindet, wirft dann auch mal von selbst das Handtuch, falls es auch noch eine Abfindung gibt. Das betrifft überwiegend Kolleginnen, da sie z. B. das Gros der Teilzeitbeschäftigten stellen.
UZ: Kann ver.di mit der Mobilisierungsfähigkeit der KollegInnen bei der Telekom zufrieden sein? Wie hast du selbst die Streikaktionen erlebt?
Volker Metzroth: Bei uns in Bad Kreuznach wurde zunächst zwei, dann vier Stunden gestreikt. Die zur Streikversammlung geladene örtliche Presse berichtete ausführlich. Danach wurde ein Tag voll gestreikt, mit Streikgeld, und letzte Woche noch einmal. Man traf sich dann aus ganz Rheinland-Pfalz und dem Saarland in Ludwigshafen und demonstrierte mit rund 1 000 Streikenden durch die Stadt. Bei uns beteiligten sich fast alle Tarifkräfte am Streik, lediglich die Teamleiter, die allerunterste Managementebene, verhält sich da wie überall überwiegend unsolidarisch. Organisiert wird der Streik vor Ort ehrenamtlich. Wann und wo gestreikt wird beruht auf zentralen Entscheidungen.
Bundesweit waren es vor allem die Beschäftigten in den T-Servicegesellschaften, die das Gros der Streikenden bildeten. Das gilt auch uneingeschränkt für die Auszubildenden der bestreikten Bereiche, die voll in die Betriebsabläufe integriert sind. Seit einigen Jahren lässt sich das fast in Echtzeit in Facebook-Foren mit Berichten, Bildern und Filmen verfolgen. Für sie selbst kontraproduktiv wirkte auch die Aussage der Telekom, man könne nicht viel geben, da das gute Geschäftsergebnis im Wesentlichen in Amerika erzielt worden sei. Unvergessen war nämlich, dass es vor wenigen Jahren nichts geben sollte, weil das Amerikageschäft damals schlecht lief.
Nicht erstmals umstritten bleibt, ob mit weiteren Arbeitskampfmaßnahmen nicht mehr drin gewesen wäre. Wobei die Erfahrung von sechseinhalb Wochen Vollstreik 2007 ist, dass mit einem solchen dieser Konzern nicht zu weiteren Zugeständnissen zu zwingen war. Das kann aber wegen seiner Komplexität an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden. Zwar werden immer wieder Möglichkeiten ausgelotet, wie man die Telekom mit gezielten Aktionen auch kleinerer Beschäftigtengruppen zu unterschiedlichen Zeiten und an wechselnden Orten und neuralgischen Punkten zu mehr Zugeständnissen zwingen könnte, was dann über längere Zeiten durchgehalten werden müsste.
Bis dato kam es aber nicht zum Schwur. Stattdessen stand wieder der bekannte Ablauf von fast Scheitern in der letzten Verhandlungsrunde, langen Sondierungen im kleinsten Kreis und allerletzten Angeboten auf der Tagesordnung und die Versicherung, dass auch mit einer Schlichtung und einem weiteren Kampf nicht mehr zu holen gewesen sei. Regionalkonferenzen werden das Ergebnis dieser Tage diskutieren und dann die personell im Wesentlichen mit dem Bundesfachbereichsvorstand neun identische Große Tarifkommission wohl einer Annahme zustimmen.
Gewerkschaften als Sozialpartner oder Gegenmacht, Tarifrunden als mittlerweile zweijährige Routine oder als einer der Hebel zur Veränderung zumindest der immer ungleicheren Einkommens- und Vermögensverteilung? Die Diskussion ist alt und brandaktuell zugleich.