Afghanische Völker hoffen auf Frieden

Taliban wollen Anerkennung

Matin Baraki

Seit dem 15. August sitzen die Taliban wieder im Präsidentenpalast von Kabul. „Der Krieg ist zu Ende“ verkündete unmittelbar ein Taliban-Sprecher. Die mit einem US-Pass ausgestattete US-Marionette Mohammad Aschraf Ghani ist geflüchtet. Das aus Ameriko- und Euro-Afghanen in einer Koalition mit willfährigen Warlords bestehende, durch und durch korrupte Marionettenregime hat kapituliert. Die 2001 von den USA und NATO vertriebenen Taliban haben am Hindukusch wieder die Macht übernommen. Das ist die größte Niederlage der USA nach ihrem historischen Desaster in Vietnam. Das ist auch eine Niederlage der aus NATO-Ländern bestehenden und selbsternannten „Internationalen Gemeinschaft“. Als Ergebnis ihres Einsatzes und als Abschiedsgeschenk haben diese westlichen Mächte den Afghanen ein Taliban-Regime übergeben.

In den letzten vier Wochen, als die Taliban vorgerückt sind, haben sich die Afghanische National-Armee (ANA) und die neu gebildeten Volksmilizen zum größten Teil kampflos ergeben. Die Soldaten der ANA, angeblich von den NATO-Ländern gut ausgebildet und ausgerüstet, sahen nicht mehr ein, sich für ein Regime zu opfern, das vom Ausland eingesetzt und gesteuert wurde. Die Soldaten der ANA und auch die Offiziere der unteren und mittleren Ränge haben zum Teil bis zu sechs Monaten keinen Sold mehr bekommen. Die jährlich 4,1 Milliarden US-Dollar, die für die Versorgung und Finanzierung der ANA aus dem Ausland nach Kabul geflossen sind, landeten in den Taschen der oberen Verwaltungsbeamten und Offiziere.

Die Taliban von heute sind nicht die Taliban von 1996 oder von 2001. Damals wurden sie von den sogenannten Dorfmullahs (Geistliche) geführt. Die derzeitigen Taliban-Führer haben pakistanische theologische Hochschulen absolviert. Sie haben nicht nur militärische Kampfstrategien gelernt, sondern auch Diplomatie und Politik. Sie haben die USA im Februar 2020 in der katarischen Hauptstadt Doha über den Tisch gezogen und sie vertraglich dazu verpflichtet, ihre Armee aus Afghanistan abzuziehen. Das war die vertraglich vereinbarte Kapitulation einer Supermacht.

Nun wollen die Taliban Afghanistan regieren. Sie wissen, dass auch das Afghanistan von heute nicht das Afghanistan von 1996 ist. Es ist eine neue Generation entstanden, offen und zum Teil gebildet, die anders leben will. Dies werden die Taliban berücksichtigen müssen, wenn sie langfristig am Hindukusch herrschen wollen. Die diesbezüglichen Signale deuten darauf hin. Als die Taliban vor einer Woche Kundus eingenommen haben, teilen mir Frauen von dort mit, dass man ihnen nichts angetan habe. In Kabul kontrollieren sie nun die Autos, geben den Fahrern einen Passierschein, wenn sie keine Waffen finden, und lassen sie dann weiterfahren. Die Menschen gehen einkaufen, ohne dass ihnen etwas passiert, wie ich am 16. August direkt aus Kabul erfuhr.

Seit der Kapitulation der Kabuler Administration versuchen Regierungs- und hohe Verwaltungsmitglieder sowie die Ameriko- und Euro-Afghanen, das Land zu verlassen. Ebenso, diejenigen Menschen, die Dollars besitzen. Am Kabuler Flughafen warten tausende Menschen auf eine Möglichkeit, abfliegen zu können.
Die Taliban haben eine Erklärung veröffentlicht, dass sie diese Fachleute brauchen, sie sollen im Land bleiben und beim Aufbau helfen. Wer mit den ausländischen Feinden und Ungläubigen gearbeitet habe, solle dies nur bereuen. Schon vor der Einnahme Kabuls haben Delegationen der Taliban in Moskau, Teheran und Peking Gespräche geführt. Sie ließen verlautbaren, dass von afghanischem Boden keine Gefahr für die Nachbarn ausgehen werde. Die Taliban wollen internationale Anerkennung und allseitige Zusammenarbeit, vor allem auf wirtschaftlicher Ebene, um das Land wiederaufzubauen. China will die Südroute seiner „Seidenstraße“ durch Afghanistan ziehen. Sowohl die Taliban als auch die afghanischen Nachbarn haben großes Interesse an einem stabilen Afghanistan.

Da die fremden Mächte nun weg sind und die korrupte Administration kapituliert hat, besteht die Hoffnung auf ein friedliches Land am Hindukusch. Das ist auch das erste und das wichtigste, was sich die absolute Mehrheit der Afghanen wünscht. Nach zwanzig Jahre Bürgerkrieg und zwanzig Jahre NATO-Krieg sehnen sich die afghanischen Völker nur noch nach Frieden! Wünschen und gönnen wir ihnen das.

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"Taliban wollen Anerkennung", UZ vom 27. August 2021



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