Die AG Internationalismus der SDAJ veröffentlichte ein Interview mit ihren KampfesgenossInnen aus dem Donbass, welches auf Grundlage eines virtuellen Meeting Mitte April entstanden ist.
SDAJ: Liebe Genossinnen und Genossen des Komsomol der DVR, bitte erklärt kurz aus Eurer Sicht den Beginn des Konfliktes in der Ukraine im Jahr 2013. Welche Geschichte hatte er? Zu welchem Grad kann man von der Unterstützung westlicher Politik beim Umsturz sprechen?
Komsomol der DVR: Ende 2013 begann der Konflikt in der Ukraine als innere Auseinandersetzung, welche in einen internationalen Konflikt überging. Die ukrainischen Herrschenden wollten den damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch nicht deshalb stürzen, weil er prinzipiell gegen Assoziationsvereinbarungen (Verbindungsabkommen) mit der EU war, sondern im Gegenteil: Janukowitsch unterstützte eine Einbindung der Ukraine in die EU, bat aber um einen finanziellen Ausgleich aufgrund der drohenden Vernichtung der ukrainischen Industrie. Die EU bot nur geringe Zahlungen als Ausgleich an – deshalb wurde das Abkommen über eine Freihandelszone mit der EU nicht von Wiktor Janukowitsch unterzeichnet. Im Februar 2014 stürzten die Oligarchen Janukowitsch und stellten eine Assoziation mit der EU in Aussicht, ohne dabei irgendeine Kompensation zu fordern – sie gehorchten den USA und der EU und konnten daher als Verwalter an der Macht bleiben.
Zum „Euromaidan“: Zu Beginn bot dieser ein trauriges Bild, nur eine geringe Anzahl an Menschen protestierte auf dem zentralen Platz in Kiew. Der Opposition gelang es in keiner Weise, die Wählerschaft unter dem Vorwand des Kampfes für die „Eurointegration“ zu mobilisieren. Wendepunkt war die Auflösung eines Zeltdorfes durch die Polizei in der Nacht vom 29. November 2013. Die Zahl der Protestierenden wie der Nationalisten wuchs rapide an. Heute ist gewiss: hinter dieser Polizeiaktion stand nicht Janukowitsch, sondern Sergej Ljowotschkin, der damals die Präsidialadministration leitete. Gemeinsam mit dem einflussreichen ukrainischen Oligarchen Dmitrij Firtasch sowie mit Jurij Bojko, dem heutigen Vorsitzenden des „Oppositionsblocks“, sollte ein Vorwand geliefert werden, um Janukowitsch los zu werden. Janukowitsch, der ein ganzes Vermögen zusammenraffen konnte, insbesondere dank der Kontrolle über illegale Kohleförderung, stand in Konkurrenz zu einem anderen, nationalen Oligarchen, Rinat Achmetow. Namentlich der Konflikt innerhalb der Bourgeoisie, nicht der Protest auf dem Maidan, wie die bürgerlichen Medien Glauben machen wollen, war die Ursache für den folgenden Sturz wie Staatsstreich.
Unrecht hatten die Linken, die behaupten, dass hinter dem Sturz Janukowitsch nur die USA oder die EU standen – im Gegenteil, gerade dank dem „Euromaidan“ konnten die ukrainischen Oligarchen endlich mit dem sie bedrängenden Präsidenten abrechnen. Sicher, das politische Lavieren von Janukowitsch zwischen dem euroatlantischen und russischen Kapital fiel in Washington wie Brüssel auf Missfallen, jedoch erst mit dem Verlust der Unterstützung des herrschenden Kreises, wurde das Schicksal besiegelt.
SDAJ: Und heute? Im April verstärkten sich die Nachrichten über eine Wiederaufnahme einer militärischen Lösung des Konflikts und der Aggression von Seiten der Ukraine unter Selenskij in Zusammenarbeit mit den USA sowie mit der EU, die von der BRD dominiert wird. Wie ist die Situation jetzt bei Euch? Wie ist die wirtschaftliche Lage und ist es gelungen ein „normales“ gesellschaftliches Leben in der DVR herzustellen?
Komsomol der DVR: Obwohl im Rahmen der Arbeit der Kontaktgruppe in Minsk (eine diplomatischen Verhandlungsrunde zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen, also des Versuchs einer friedlichen Regelung des Konflikts, die im Jahr 2015 unter Vermittlung von Russland, Deutschland und Frankreich abgeschlossen worden waren). mehrere Dutzend Waffenstillstände abgeschlossen wurden, fuhr die ukrainische Seite fort, das Territorium der Republiken zu beschießen. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft sind natürlich negativ negativ. Aufgrund der Blockade (durch die Ukraine gegen den Donbass) und dem Beschuss durch Kiew stehen eine Reihe von Unternehmen still oder funktionieren nur teilweise. Der Lebensstandard der Menschen ist betroffen, in der DVR ist es möglich, Arbeit zu finden, jedoch bei schlechter Bezahlung, die staatlichen Sozialleistungen sind auf einem niedrigen Niveau (niedriger als in Russland), gleichzeitig sind die Lebensmittelpreise in Donezk auf dem Niveau von Moskau.
Aber: humanitäre Hilfe wird an Bedürftige verteilt, die Tarife für kommunale Dienstleistungen und die Preise für öffentliche Verkehrsmittel sind auf einem niedrigen Niveau. Seit Anfang 2017 wurde die Wirtschaftsblockade spürbar verschärft – heute gibt es kaum Warenverkehr zwischen der Ukraine und dem Donbass. Dennoch gelangen Produkte aus dem Donbass, insbesondere Kohle, auf ausländische Märkte. Der Krieg wie die Blockade lassen es nicht zu, in vollem Maße ein „normales“ gesellschaftliches Leben einzurichten – sie behindern die Entwicklung des Donbass. Außerdem gilt seit fast sieben Jahren eine rigide Sperrstunde.
SDAJ: In den deutschen Medien wird Russland immer als „böser“ Aggressor dargestellt. Bitte erläutert, wie eure Beziehungen zu Russland charakterisiert werden können und wen ihr als Aggressor und wen als Verteidiger seht. Welche imperialistischen Interessen verfolgt der „Westen“ in der Ukraine und im Donbass?
Komsomol der DVR: Die Gegenbewegung zum Maidan ist – wie der „Euromaidan“ – nicht eindimensional (siehe Frage 1). Er kann nicht alleine auf den Einfluss Russlands zurückgeführt werden. Alles auf äußere Kräfte reduzieren, ohne sich die Mühe zu machen, auch das innere Verhältnis der Klassenkräfte zu untersuchen, wie manche Linken das tun, ist falsch. Einfach gesagt, der „Euromaidan“ ist ein erfolgreicher Versuch der ukrainischen Oligarchie eine Rechnung mit dem Präsidenten zu begleichen (siehe Frage 1), und der „Antimaidan“ ist ein nicht weniger erfolgreicher Versuch des Kleinbürgertum, eine Rechnung mit der Oligarchie zu begleichen. Das Kleinbürgertum, dass immer unter dem Joch des Monopolkapitales steht, ist bereit, die Oligarchie in einem günstigen Augenblick zu besiegen. Eine solche Gelegenheit bot sich im Februar 2014, als fast alle Oligarchen, einschließlich der Donezker, den Staatsstreich in Kiew unterstützten, aber die Mehrheit der Einwohner des Donbass, einschließlich der Arbeiter, dagegen waren. Die Arbeiter verachteten Wiktor Janukowitsch, aber sie hegen noch weniger Sympathien zu dessen Nachfolgern.
Der Kampf des Kleinbürgertum im Donbass wäre zum Scheitern verurteilt gewesen, wenn er nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt von Russland unterstützt worden wäre. Aber: unterstützt, nicht initiiert, wie es die westlichen Medien behaupten! Letztlich interessiert Russland nicht der Donbass oder die Krim, sondern die Verteidigung seiner dominanten Position auf dem europäischen Energiemarkt. Russland war mit der „neutralen“ Ukraine in den Grenzen vor 2014, vollständig zufrieden, vorausgesetzt, dass diese, russische Energielieferungen gen Europa absicherten. Es waren die USA, die bestrebt waren, Russland vom Energiemarkt zu verdrängen, die einen Konflikt in der Ukraine entfachen wollten und entfacht haben. Aber dass es dem amerikanischen Kapitals nicht gelungen ist, die Krim und die eine Hälfte des Donbass zu behalten, zeugt von der Schwächung seiner Positionen im postsowjetischen Raum.
Gegenwärtig steht zweifellos der US-Imperialismus hinter der ukrainischen Oligarchen: das US-Kapital ist bestrebt, eine herrschende Stellung auf dem europäischen Energiemarkt einzunehmen, wo die Ukraine eine Schlüsselrolle im Kampf gegen den russischen Konkurrenten innehat. Unter anderem befinden sich hier die Gaspipelines, die den „blauen Brennstoff“ aus Russland in die EU transportieren, sowie Kohlebergwerke, deshalb ist die Vernichtung der ukrainischen Industrie und Infrastruktur einer der vorrangigen Aufgaben der USA in Europa.
SDAJ: In diesem Jahr sind es 80 Jahre seit des Überfalles des faschistischen Deutschlands auf die UdSSR – die deutschen Kommunisten werden dies mit Aktionen und Demonstrationen begehen. Welche Rolle spielt der „Große Vaterländische Krieg“ (2. Weltkrieg) in eurer politischen Aktivität? Und welche Sicht auf die UdSSR und ihre Rolle sind im Donbass vorherrschend?
Komsomol der DVR: Der Tag des Sieges (9. Mai) ist einer der wichtigsten Feiertage in der Donezker Volksrepublik (DVR). Gleichzeitig wird auf offizieller Ebene versucht, die Aufmerksamkeit nicht auf die entscheidende Rolle der Kommunisten bei der Niederschlagung des Faschismus zu lenken – wir sind daher bestrebt, dieses „Missverständnis“ zu korrigieren. Wir führen thematische Unterrichtsstunden in Schulen durch und leisten historische Aufklärungsarbeit unter der Jugend. Was die UdSSR betrifft: das Verhältnis zur Sowjetunion unter der Bevölkerung des Donbass ist positiv. Gerade im Rahmen der UdSSR gelang es, die nationale Frage zu lösen und gegenseitige Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine, einschließlich des Donbass, aufzubauen, die auf proletarischem Internationalismus und nicht auf kapitalistischer Unterdrückung, basierten. Nach der vorübergehenden Niederlage des Sozialismus wurde der bürgerliche Nationalismus mit allen sich daraus ergebenden Folgen wiederbelebt. Der aktuelle Status kann nur durch die Wiederbelebung der Sowjetunion abschließend und unwiderruflich gelöst werden.
SDAJ: Mit „Defender 2021“ bewegt sich der Fokus der militärischen Aggression der NATO noch weiter in Richtung Russland, wobei die Ukraine dazu genutzt wird die Front gen Russland wie den Donbass zu verschieben und einen Krieg zu proben. Wie bewertet ihr die derzeitige Situation und welches mögliche Szenario seht ihr für die Zukunft?
Komsomol der DVR: Aktuell deutet leider viel darauf hin, dass die Situation in der Region sich verschärfen wird. Sofern die Ukraine mit ihrer Politik weitermacht und die in Minsk getroffenen Vereinbarungen nicht umsetzt, desto wahrscheinlicher wird die Anerkennung der Republiken im Donbass durch Russland. Aus unserer Sicht ist die derzeitige ukrainische Führung, die von der EU und den USA unterstützt wird, nicht in der Lage oder nicht des Willen, die Friedensvereinbarungen vollständig umzusetzen.
SDAJ: Die DKP und die SDAJ sind fast die einzigen Kräfte in Deutschland, die eindeutig fordern „Frieden mit Russland und Selbstbestimmung für den Donbass!“. Wie könnte aus Eurer Sicht, die weitere Unterstützung für den Donbass von unserer Seite aussehen?
Komsomol der DVR: Zuerst, wir sind der DKP wie der SDAJ für die brüderliche Unterstützung und Hilfe sehr dankbar, die sie der KP der DVR und dem Komsomol der DVR entgegenbringen. Wir würden uns freuen, wenn auch weiter Solidaritätsaktionen mit dem Volk des Donbass stattfinden, möglichst viel über das Geschehen in unserer Region berichten würde, die Verbrechen der ukrainischen Regierung entlarvt, deren Politik die Unterstützung von Seiten des deutschen Imperialismus genießt.