Besondere Zeiten erfordern besondere Regeln. Bei der Deutschen Bahn AG hat es erstmalig seit fast zwei Jahrzehnten ein gemeinsames Vorgehen beider Bahngewerkschaften gegeben. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) einigten sich auf gemeinsame Forderungen zum Schutz der Beschäftigten während der Coronakrise.
Die beiden Gewerkschaften sehen gravierende Veränderungen auf die Eisenbahn- und Verkehrsbranche zukommen. Die Entwicklung der Coronapandemie in Deutschland und die Auswirkungen auf den DB-Konzern gibt ihnen recht: Innerhalb des Konzerns wurde sehr genau beobachtet und täglich auch die steigende Zahl von Infizierten oder Verdachtsfällen unter den Beschäftigten aufgezeichnet. Seit dem Beginn der Reiseeinschränkungen in Deutschland ist ein dramatischer Rückgang der Fahrgastzahlen zu verzeichnen. Inzwischen ist der Fernverkehr deutlich reduziert. Im Regionalverkehr bestimmen das Vorgehen die Auftragsgeber – also die Bundesländer –, aber auch hier sind schon Einschränkungen vorgenommen worden. Die Vorstände der DB-Gesellschaften machten den Belegschaften sehr früh deutlich, dass alle Bereiche des Arbeitslebens Veränderungen unterliegen. Verwaltungsbereiche wurden gebeten, soweit möglich in das Home-Office zu wechseln, Reisezentren wurden geschlossen, Schichten der Mitarbeiter in den operativen Serviceleistungen nach und nach ausgedünnt, im Regionalverkehr wurde auf die Fahrkartenkontrollen verzichtet, um die Mitarbeiter zu schützen.
Nach Auffassung der Gewerkschaften reichen bisher bewährte Mechanismen nicht aus, um die Mitglieder aktuell zu schützen. Daher wurde beschlossen, die Kräfte zu bündeln und gemeinsam auf den Vorstand der Deutschen Bahn zuzugehen. Herausgekommen ist ein Maßnahmenpaket für die aktuell dringendsten Erfordernisse. Kernstück der Vereinbarung ist – neben dem Kündigungsschutz und der Entgeltfortzahlung – eine Sonderregelung für bezahlte Arbeitsbefreiung für Eltern mit Kindern für den angekündigten Schließungszeitraum von Schulen und Kindertagesstätten von bis zu 15 Tagen. Dies ist insbesondere für Eltern im Schichtdienst von Bedeutung. Falls der Gesetzgeber Regelungen beschließt, gelten die DB-Regelungen dazu ergänzend. Darüber hinaus wurde für besondere Härtefälle ein großzügiger Verzicht auf das Nacharbeiten von versäumter Arbeitszeit vereinbart. Die Vereinbarung gilt zunächst bis zum 31. Juli dieses Jahres und flankiert die betrieblichen Regelungen, die die Interessenvertretungen mit den jeweiligen Betriebsleitungen in den letzten Wochen verhandelt haben. In den Betrieben wurden zahlreiche befristete Betriebsvereinbarungen zur Absicherung der Beschäftigung geschlossen. Auch die Sicherstellung der Rechte der Betriebsräte unter den erschwerten Bedingungen wurde durch Vereinbarungen auf allen Ebenen abgesichert.
Die Vereinbarung des DB-Konzerns mit den beiden Bahngewerkschaften machen zwei Dinge deutlich: Erstens wirkt sich der Organisierungsgrad aus. Allein die EVG organisiert etwas über die Hälfte aller Beschäftigten. Zusammen mit der bei den Lokführern dominierenden GDL (circa 70 Prozent Organisationsgrad) haben beide Gewerkschaften eine Organisationsmacht, an der die Konzernführung nicht vorbeikommt. Jede Organisation für sich macht in der Praxis bereits diesen Einfluss deutlich.
Hinzu kommt, dass die Coronapandemie die „Systemrelevanz“ der Branche für die Gesellschaft deutlich macht. Dazu zählt auch der öffentliche Personenverkehr. Ohne ihn kann eine Wirtschaft nicht funktionieren. Daher ist der Bund als Eigentümer für die Zeit nach dem Ende der Pandemie aufgefordert, die Mängel, die sich durch die Bahnprivatisierung ergeben haben, zu beseitigen. Hierzu gehört, den gesamten Schienenverkehr wieder in staatliche Hände zusammenzufassen und den Flickenteppich von Anbietern, die Lohndumping betreiben, zu beenden.
EVG und GDL sollten die hier begonnene Zusammenarbeit fortsetzen und die kommunikationslose Zeit beenden.