Denkanstöße aus der US-Protestbewegung

Systemischer Rassismus

Der Mord an George Floyd durch die Polizei löste in den USA eine Protestwelle aus, wie es sie seit der Ermordung Martin Luther Kings 1968 nicht gegeben hat. 1968 trugen überwiegend Schwarze die Unruhen. Auch 2020 bildeten Schwarze den Kern, doch diesmal massenhaft begleitet von jungen Weißen, Hispanics und Menschen anderer Ethnizität. Zu diesem Ausmaß der Proteste 2020 trugen laut Glen Ford, Herausgeber der linken Webseite „Black Agenda Report“, vier Faktoren bei:

Beate Landefeld
Beate Landefeld

Erstens, die Coronavirus-Pandemie. Schwarze sterben an Covid-19 zwischen 2,6 bis 4 mal so oft wie Weiße: weil sie dichter zusammenwohnen, sich schlechter ernähren, meist in „systemrelevanten“ Jobs ohne ausreichenden Gesundheitsschutz arbeiten, öfter Vorerkrankungen haben, nicht immer versichert sind und ihr Zugang zum kaputtgesparten öffentlichen Gesundheitswesen schwieriger ist.

Zweitens, die Massenarbeitslosigkeit infolge des Shutdowns. Sie erreicht das Niveau der Großen Depression, steigert die generelle Unsicherheit, Prekarisierung und Armut, während die Oligarchen von Amazon, Google und Facebook Milliardengewinne scheffeln und der Hauptteil der Staatshilfen an Großkonzerne geht.

Drittens, die durch die Spaltung der herrschenden Klasse forcierte Legitimitätskrise des US-Regimes. Der hinter den Demokraten stehende Teil der US-Oligarchie unterstützt mit seinen Medien die Protestierenden diskret in der Absicht, den Schwung der Bewegung zu nutzen, um Trump im November aus dem Amt zu wählen.

Viertens, das Abwürgen des Phänomens Bernie Sanders durch die Demokratische Partei. Seine jugendlichen Unterstützer mussten akzeptieren, dass man sich aus den Widersprüchen des rassistischen Kapitalismus nicht herauswählen kann. Auch sie strömten nach dem Mord an Floyd in unerwartet hohen Zahlen auf die Straßen.

Zwei Drittel der US-Bürger halten die Proteste für berechtigt. Als er nach dem Einschreiten der Armee rief, handelte sich Trump umgehend den Widerspruch prominenter Militaristen ein wie des Generals a. D. Mattis und des amtierenden Verteidigungsministers Espers, der den Rüstungskonzern Raytheon vertritt. Die Führung der teuersten Armee der Welt hat kein Interesse, das Vertrauen der US-Bevölkerung auf die Probe zu stellen oder gar Unruhe in die Reihen der Armee selbst zu tragen.

Die Proteste richten sich nicht nur gegen Trump. Für die Polizei und viele soziale Dienste sind Gouverneure und Bürgermeister zuständig. Das sind oft Demokraten, manchmal auch Schwarze. Viele Protestierende prangern den systemischen Rassismus an, der Teil der Funktionsweise des Kapitalismus ist. Kolonialismus und Sklavenhandel unter weißer Suprematie standen als Triebkräfte der ursprünglichen Akkumulation an der Wiege des Kapitalismus. Das Kapital vergesellschaftet die Arbeit, aber es kontrolliert sie, indem es Ungleichheit und Spaltungen vertieft, die Einheit der Lohnabhängigen untergräbt. Der Imperialismus reproduziert systematisch Ängste, Feindbilder, Chauvinismus und Rassismus. Konsens für das Attackieren fremder Völker, ihre Bevormundung oder kriegerische Unterwerfung, ist ohne die Einbildung einer zivilisatorischen Überlegenheit der eigenen Gruppe nicht herstellbar.

Die USA entstanden als Sklavenhalterdemokratie englischer Kolonisten. Im Zuge ihrer Expansion rotteten sie die Ureinwohner nahezu aus. Linke Schwarze wollen dieses Erbe nicht antreten. So knüpft beispielsweise die „Black Alliance For Peace“ an den Antiimperialismus der „Black Panther Party“ (1966 – 1982) an. Mit der US-Friedensbewegung fordern sie das Ende der US-Kriege und Sanktionen, den Rückzug der US-Truppen, die Demilitarisierung der USA. Sie sind solidarisch mit Kuba, Venezuela, China, Vietnam, mit allen Ländern, die die globale weiße Suprematie herausfordern und das Monopol des Westens, die Regeln zu bestimmen, brechen wollen.

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"Systemischer Rassismus", UZ vom 12. Juni 2020



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