Nach neun Jahren Krieg und Sanktionen befindet sich Syrien im Lockdown. Die Furcht vor einer Corona-Epidemie, die das syrische Gesundheitswesen nicht bewältigen könnte, führt zu immer neuen Maßnahmen, um die Verbreitung des Virus zu stoppen – schon bevor Infektionen in größerer Zahl nachgewiesen sind.
Das einst gut ausgebaute Gesundheitswesen Syriens ist durch Krieg und Sanktionen, durch die Abwanderung von Fachkräften und gezielte Bombardierungen durch die USA – zum Beispiel durch Angriffe auf das Krebsforschungszentrum in Damaskus – schwer geschädigt. Trotz der Unterstützung durch Russland und die VR China könnten die syrischen Krankenhäuser eine größere Epidemie nicht bewältigen.
Deshalb wurden in Syrien schon am 14. März und bevor die ersten Corona-Fälle nachgewiesen waren, Schulen und Universitäten geschlossen. Wenige Tage danach wurden Klubs, Theater, Kinos, öffentliche Parks, Hochzeits- und Trauerhallen geschlossen. Gemeinsame Gebete in den Moscheen sind bis Mitte April suspendiert. Es folgte der Verkehr: Fahrten zwischen städtischen Zentren und dem Umland wurden verboten, es sei denn, sie dienten der Versorgung der Bevölkerung. Eine Ausgangsbeschränkung wurde verhängt, Schulen und Straßen wurden desinfiziert, Badestrände am Mittelmeer geschlossen. Ministerien und staatliche Unternehmen müssen die Anzahl der eingesetzten Mitarbeiter reduzieren. Online-Meetings ersetzen persönliche Treffen und in Medien und auf Plakaten wurde eine Kampagne initiiert: „Bleibt zu Hause …“
In Syrien ist „Social distancing“ schwieriger umzusetzen als in Mitteleuropa. Die Familien sind größer und die Wohnverhältnisse oft beengter, vor allem für die vielen Flüchtlinge im Land. Die vielen illegalen Grenzübertritte müssen kontrolliert werden, der Zustrom von schiitischen Pilgern vor allem aus dem Iran musste begrenzt werden. So wurde eines der Heiligtümer in Saida Sainab ebenso geschlossen wie die Omajjadenmoschee in Damaskus. Und bei allen Verkehrsbeschränkungen muss zugleich die Versorgung mit Gas und Grundnahrungsmitteln sichergestellt werden, die finanziellen Folgen für die Beschäftigten, die nicht zur Arbeit gehen, müssen gemildert werden. Die syrische Regierung kaufte 5.000 Tonnen Kartoffeln im Ausland. Mitarbeiter im Gesundheitswesen erhalten eine zusätzliche Vergütung.
Die Fälle möglicher Corona-Infektionen rechtzeitig zu identifizieren und zu behandeln ist schwierig und wie in anderen Ländern dürfte es eine hohe Dunkelziffer geben. In den Gebieten unter Kontrolle der SDF, wo ähnliche Maßnahmen gelten, wie sie die syrische Regierung ergriffen hat, gibt es gar keine Möglichkeit, auf Corona zu testen. Proben müssen zur Auswertung nach Damaskus geschickt werden.
Die Nachrichten zu Corona verdrängen in Syrien sogar die Kriegsnachrichten. Doch der Krieg ist nicht zu Ende. Erneut hat die israelische Luftwaffe Ziele in Syrien bombardiert, in der Provinz Hasaka unterbrechen immer wieder Dschihadisten im Auftrag der Türkei die Wasserversorgung. In Idlib wird der Waffenstillstand durch die Dschihadisten häufig gebrochen. Und unverändert bleiben die Sanktionen gegen Syrien bestehen – obwohl selbst Vertreter der WHO und der G77 – die größte Organisation von Ländern innerhalb der UN – ein Ende der Sanktionen fordern, um den Kampf gegen Corona zu erleichtern. Für Syrien ist Corona ein Krieg im Krieg.