Offene Hetze gegen Arme und Migranten gibt Vorgeschmack auf blutigen Wahlkampf

Sündenböcke ausgemacht

Fast könnte man sich zurücksehnen in die Zeiten der Wahlbetrügereien. Bis vor Kurzem war das übliche Muster hiesiger Wahlkämpfe, vor den Wahlen in Reden und Programmen soziale und sonstige Wohltaten zu versprechen, die dann nach der Wahl in der Versenkung verschwinden.

Wie sehr sich die Debatten in den Zeiten der unseligen Ampel-Regierung nach rechts verschoben haben, wurde spätestens letzte Woche im Bundestag und in weiteren Wortmeldungen deutlich, die dem Aus dieser Regierung folgten. Wie erwartet hetzt die AfD gegen Migranten und jeden, der keinen deutschen Stammbaum von wenigstens zwei Generationen vorzuweisen hat. Angesichts der Erfolge schnoddrig-antihumanistischer Holzerei bei Wahlen – von den Niederlanden über Frankreich bis zu den USA – hat sich nun aber offensichtlich auch die in den Wettbüros als künftige Kanzlerpartei gesetzte CDU entschlossen, die Wahlkampflinie der Versprechungen einzutauschen gegen eine Linie der offenen Hetze. Die Richtung gab Kanzlerkandidat Friedrich Merz im Bundestag mit dem Satz vor: „Deutschland braucht eine grundlegend andere Politik, vor allem in der Migrationspolitik, in der Außen- und Sicherheitspolitik und in der Wirtschaftspolitik.“ In seiner Rede forderte er, das „vollkommen missratene sogenannte Bürgergeld vom Kopf auf die Füße“ zu stellen.

Keine 48 Stunden später legte sein Generalsekretär Carsten Linnemann in der „Bild“ nach und konkretisierte: „In einem Jahr wird es dieses Bürgergeld in dieser Form nicht mehr geben.“ Es werde auch nicht mehr Bürgergeld heißen. Jeder, der arbeiten könne, müsse auch arbeiten gehen, „ansonsten gibt es keine Sozialleistungen“.

Die Verantwortung für den kaum noch zu leugnenden Niedergang dieses Landes wird im anlaufenden Wahlkampf in unterschiedlicher Mischung also drei Menschengruppen zugewiesen: Den Russen (allen voran Putin), denen vor allem die „Grünen“ die Hauptschuld an allem zuschieben, den Ausländern und den Bürgergeld-Empfängern. Eine Lösung der hiesigen Probleme bietet keine der Schuldzuweisungen.

Die Sanktionen, die Russland nach dem Traumbild der deutschen Ministerin des Äußeren „ruinieren“ würden, hat Deutschland im Konzert mit den USA, der EU und Japan gegen sich selbst verhängt. Die Bundesregierung hat verschuldet, dass die seitdem explodierenden Energiekosten deutsche Unternehmen reihenweise aus dem internationalen Wettbewerb hinauskatapultieren. Kein Hirn mit auch nur fünf Gramm ökonomischem Sachverstand wird ernsthaft argumentieren, dass das Herauswerfen von Menschen mit türkischen, italienischen, arabischen oder sonstigen ausländischen Wurzeln die deutsche Wirtschaft wieder in Schwung bringen könnte. Und zu glauben, der wachsende technologische Rückstand Deutschlands ließe sich dadurch beheben, dass alleinerziehende Mütter oder vom Arbeitsleben dauerhaft Ausgelaugte mit der Hungerkeule zur Annahme noch des letzten entwürdigenden Dreckjobs gezwungen werden, grenzt an den religiösen Fanatismus der Teufelsaustreiberei des deutschen Mittelalters.

Das alles wissen auch Merz und Linnemann. Aber – und das lässt einen blutigen Wahlkampf erwarten – sie setzen offensichtlich immer stärker auf Irrationalismus, Hetze und das Zeigen auf vermeintliche Sündenböcke als Rezept, um die Regierungsgewalt zu erlangen. Um danach außen- wie innenpolitisch Blutbäder anzurichten, bedarf es dann noch nicht einmal mehr des Brechens von Wahlversprechen.

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"Sündenböcke ausgemacht", UZ vom 22. November 2024



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