Landesweite soziale Proteste im Sudan – Genossen in Lebensgefahr

Sudanesischer Frühling

Von Georges Hallermayer

Wir können den Protest verstärken: Per Mail an die sudanesische Botschaft sudaniberlin@hotmail.de oder per Postkarte an:

Botschaft der Republik Sudan

Kurfürstendamm 151

10709 Berlin

„Strukturanpassungsreformen“ der imperialistischen Institutionen wie EU-Troika, Weltbank und Internationaler Währungsfonds treiben auch die Bevölkerung des Sudan in den Protest und auf die Straße.

Mit der Abtrennung des Südens 2011 ging der Verlust eines Großteils der Erdölfelder einher. Dem jahrelangen Bürgerkrieg in der Region Darfur im Westen des Landes, 3 Millionen Binnenflüchtlingen – die aus dem Süd-Sudan noch nicht mitgezählt – und einer Inflation um die 40 Prozent folgte 2013 die Hinwendung durch Staatspräsident Umar al-Baschir nach Westen. Er unternahm 2016 seinen Gang nach Canossa, unterwarf sich den neoliberalen Kreditbedingungen des Weltwährungsfonds und erteilte damit ausländischen Investoren freie Fahrt, Privatisierung staatlicher Leistungen und Abschaffung des „Sozialklimbims“ – alles inklusive. Wie die französischen Präsidenten Hollande und Macron versuchte Umar al-Baschir im „sozialen Dialog“ den Protest mit Versprechungen zu beschwichtigen. Der Protest fand trotzdem statt und wurde blutig unterdrückt (siehe UZ vom 18. Nov. 2016: „Austerität und Unterdrückung im Sudan“).

Die USA stellten 2017 ihr Embargo ein und hoben im Oktober die seit 1997 bestehenden Sanktionen teilweise auf. Im Jahr zuvor hatte Umar al-Baschir die diplomatischen Beziehungen mit dem Iran gekappt und erfreut sich seitdem der Unterstützung (inkl. Investitionsversprechen) Saudi-Arabiens: Im Jahr 2016 waren es 1 Mrd. Dollar aufs Konto der Sudanesischen Zentralbank, 500 Mio. Dollar kamen von den Vereinigten Emiraten, zusätzlich gab es Zusage von 5 Mrd. Dollar Militärhilfe. Im Gegenzug wird sich der Sudan am Krieg gegen den Jemen beteiligen. Außenpolitisch versucht Umar al-Baschir sich nach allen Richtungen abzusichern. Im letzten November flog er nach Moskau, wo er Russland anbot, eine Militärbasis am Roten Meer zu errichten. Und der türkische Präsident Recep Erdogan nahm von seiner Afrikareise aus dem Sudan einige Abkommen zur militärischen Zusammenarbeit mit. Nachbar Ägypten befürchtet die Errichtung einer türkischen Militärbasis in Suakin am Roten Meer.

Der vom UN-Sicherheitsrat im Juni 2017 beschlossene Teilabzug der seit 2007 aus UNO und AU gemischten Friedensmission MINUAD aus Darfur (45 Prozent Militär und 26 Prozent Polizei) kommt auch Umar al-Baschir zupass. Trotz weiterer Kämpfe mit den Rebellen der SLM/A-Minawi erklärte die Regierung die Region Darfur für befriedet. Im letzten November konnte er einen früheren Verbündeten, den Chef der Dschandschawid-Miliz, in Darfur gefangennehmen.

Umar al-Baschir zeigt sich kooperativ, wenn er mit dem Westen über die Migrationsfrage verhandelt – am 6. Januar wurde die Schließung der Grenze zu Eritrea angekündigt – umso brutaler zieht er die Schraube im Innern an: Infolge der Regierungsentscheidung den Import von Getreide zu privatisieren, verdoppelte sich der Preis für das Hauptnahrungsmittel Brot, viele Bäckereien mussten schließen. Die nationalistische Partei Umma, Konservative und die Sudanesische Kommunistische Partei (SCP) schlossen sich zusammen und riefen gemeinsam auf, „bis zum Fall des Regimes zu demonstrieren“ – zum ersten nationalen Widerstandstag am 16. Januar. Sie beschuldigten die Regierung, „den Forderungen des Internationalen Währungsfonds nachzugeben“. Im Sudan gebe „es bald nur noch freien Handel ohne Freiheiten“.

Seit Anfang Januar gibt es Proteste im ganzen Land. Vorbeugend hatte die Regierung den militärischen Notstand auf neun Bundesstaaten ausgeweitet. Bereits am 8. Januar wurde Muhi el-Deen al-Jallad, Mitglied des Zentralkomitees und Politbüros der SCP, verhaftet. Offensichtlich hatte der Geheimdienst wie 2016 die SCP ins Visier genommen. Aber damit konnte die Regierung die Massendemonstrationen nicht verhindern.

„Al Jazeera“ berichtete bereits am 9. Januar über die ersten Todesopfer in der Provinz, Radio Dabanga (eine von Holland aus operierende unabhängige Sudanesische Nachrichtenagentur) postete Videos über Festnahmen von Studenten in Khartum, darunter Ahmed Zohair, der kommunistische Studentenführer. Tausende marschierten friedlich durch die Straßen der Hauptstadt. Obwohl die Demonstration genehmigt war, wurde Tränengas eingesetzt und auf Demonstranten eingeprügelt, um weiteren Protest abzuschrecken.

Der Geheimdienst NISS verhaftete gezielt aus den Demonstrationszügen Spitzenpolitiker der SCP: Siddig Yousif (Mitglied des ZK und Politbüros), Hashem Merghani (Parteisekretär im zweitgrößten Bundesstaat Al-Jazira) und Kamal Karrar (ZK-Mitglied und Journalist bei Al-Maidan). Sidqi Keblo, Mitglied des ZK und des Politbüros, wurde noch am Abend in seinem Haus verhaftet. Am nächsten Abend auch der Generalsekretär der SCP, Genosse Muhammad Mukhtar al-Khatib, wie auch der Schatzmeister der Partei Alhareth Altoum.

„Über 50 Aktivisten, Journalisten und politische Führungskräfte wurden verhaftet (…) mindestens 15 Demons­tranten haben ihr Leben verloren“ so Fathi Alfadl vom SCP-Politbüro in einer ersten Bilanz. Die „New York Times“ prangerte die Verhaftung von sieben Journalisten, u. a. von AFP und Reuters, an. Die „Deutsche Welle“ berichtete, dass von sechs Tageszeitungen die Auflagen konfisziert wurden, sagte aber nichts über die gezielte Verfolgung der Oppositionskräfte.

Das Politbüro der SCP entschied trotz alledem, „seine Mitglieder und Freunde weiter zu mobilisieren, um die Bildung von Widerstandskomitees auszubauen und eine breite Allianz zu schaffen, um einen politischen Generalstreik vorzubereiten, um das diktatorische Regime zu stürzen.“ Die sudanesischen Genossen appellieren an alle Bruderparteien, „Solidaritätsaktionen fortzuführen, vor den Botschaften zu protestieren, die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen zu fordern (…) und ihre medizinische Versorgung und anwaltliche Unterstützung.“

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"Sudanesischer Frühling", UZ vom 26. Januar 2018



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