Vor 30 Jahren, am 8./9. Dezember 1989, fand in Berlin ein „außerordentlicher Parteitag der SED“ statt. Außerordentlich war er im Hinblick auf sein Zustandekommen, seine Zusammensetzung und in seinem Ergebnis, das auch in der Umbenennung zum Ausdruck kam. Die Regierung Modrow ordnete die Entwaffnung und Auflösung der Betriebskampfgruppen an und ließ den Sturm auf das (schon umbenannte) Ministerium für Staatssicherheit zu. Die NVA wurde neutralisiert. Damit war der erste Arbeiter-und-Bauern-Staat auf deutschem Boden dem Imperialismus schutzlos ausgeliefert.
Die krisenhafte Entwicklung der DDR blieb dem aufmerksamen Beobachtern nicht verborgen. Sie zeigte sich spätestens in den 1980er Jahren in Stagnation, schleichender Sozialdemokratisierung, deren sichtbarer Höhepunkt das von SED und SPD gemeinsam verfasste Papier „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“ war. Auch die DKP blieb davon nicht unberührt. Viele der sogenannten Erneuerer verließen die Partei und PV-Mitglied Wolfgang Gehrcke drängte auf eine Auflösung der Partei.
Über diese Entwicklung ist schon viel geschrieben worden. Gerhard Feldbauer fügt den bisherigen Analysen einen interessanten Aspekt hinzu: die Spiegelung der Vorgänge in Berlin an denen in Rom. Als ADN-Korrespondent in der italienischen Hauptstadt erlebte er dort hautnah den Niedergang und schließlich den Untergang des PCI. Zugute kommen ihm dabei nicht nur die Verbindungen, die das journalistische Handwerk mit sich bringt, sondern auch seine enormen Erfahrungen auf diplomatischem Parkett (er war Botschafter in mehreren afrikanischen Ländern) und die Vertrautheit mit den heimischen Parteistrukturen. Er kam so mit vielen politischen Figuren jeglicher Couleur und aus aller Welt in Berührung. Es geht hier somit weniger um eine Abhandlung der Umwandlung der SED/PDS zur heutigen Partei als um die handelnden Personen – mit Vergleichen zu denen in Italien. So sind Lothar Bisky und Markus Wolf eigene Kapitel gewidmet. Hans Modrow, der erst sehr viel später zu einigen Einsichten über seine überaus negative Rolle im Prozess der „Abwicklung“ der DDR kam, erfährt eine differenzierte Würdigung.
Das Handeln der Akteure in Berlin zeigte im Vergleich mit dem, was sich in Italien abgespielt hatte, von Anfang an einen gravierenden Unterschied. War dieser Prozess in Italien in zwei bis drei Jahrzehnten vor sich gegangen, wurden die Weichen jetzt in der SED in Monaten gestellt und der von den Reformisten im PCI verfolgte Kurs wurde in seinen inhaltlichen Aussagen und Zugeständnissen unter vielen Gesichtspunkten bei weitem übertroffen und die Auswirkungen waren beziehungsweise sind bis heute weitaus dramatischer. Dieser Prozess wurde wesentlich beschleunigt, als Gregor Gysi, dessen Vater zu der Zeit Botschafter in Rom war, an die Spitze der Reformisten trat. Nach einem Besuch bei Noch-KPdSU-Generalsekretär Gorbatschow eilte er im Januar 1990 nach Rom, um bei Achille Occhetto, dem letzten IKP-Generalsekretär, Erfahrungen bei der Liquidierung der IKP durch ihre Umwandlung in eine sozialdemokratische Linkspartei zu studieren. Er scheute sich auch nicht, mit ISP-Chef Bettino Craxi zusammenzutreffen, der schon zu dieser Zeit der Korruption verdächtigt wurde. Fast zeitgleich mit Gregor Gysis Italienreise unterbreitete Regierungschef Hans Modrow (seit November 1989 bis April 1990) nach Gesprächen mit Gorbatschow am 1. Februar 1990 sein Konzept „Deutschland einig Vaterland“, mit dem faktisch die DDR zur Disposition gestellt wurde. Als schließlich in Bonn der berüchtigte Vernon A. Walters, der als Organisator mehrerer Putschversuche zur Verhinderung eines linken Vormarsches in Italien wie der Unterstützung kolonialer Marionetten gegen antiimperialistische Regierungen berüchtigt war, als Botschafter eintraf, hätte eigentlich auch Modrow und Gysi klar sein müssen, was die Stunde geschlagen hatte.
Gerhard Feldbauer
Die Stunde der Opportunisten
Gregor Gysi griff 1989/90 die Liquidierung der italienischen PCI als Modell für seine PDS auf.
Konsequent 1/20 (Schriftenreihe der DKP Berlin).
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