Zur massiven US-amerikanischen Aufrüstung

Strukturell destruktiv

Von Klaus Wagener

Seit der Niederlage des Sozialismus in Europa und in verstärktem Maße seit 2001 führen die USA als „Einzige Weltmacht“ wieder unumschränkt imperialistische Kriege. Zentraler Kriegsschauplatz ist „Greater Middle East“ – also der Nahe und Mittlere Osten –, die strategische Ellipse, oder wie es Zbigniew Brzezinski formuliert, „der Eurasische Balken“.

Die Ergebnisse dieser Kriege, deren Vorläufer vor über 60 Jahren der CIA/MI6-Putsch gegen den iranischen Präsidenten Mossadegh, die Mobilisierung des Saddam-Regimes gegen den Iran und die Aufrüstung des islamistischen Mittelalters in Afghanistan waren, sehen nicht so aus wie die proklamierten Ziele. Vor allem die Kriege seit 2001 produzierten einen Zustand, der mit dem Begriff Chaos noch wohlwollend umschrieben ist.

Gleichwohl, und das gilt insbesondere mit Blick auf die vermutlich aussichtsreichste Anwärterin auf das Weiße Haus, Frau Clinton, sind Anzeichen einer Wende oder auch nur eines Infragestellens der bisherigen Chaos-Strategie allenfalls bei Donald Trump zu erkennen. Frau Clinton steht für ein bedenkenlos-entschlossenes „Weiter so!“, und zwar in verschärfter Variante. Weshalb sie auch zum erklärten Darling von Big Oil, der Medien, des Finanzkapitals und natürlich des militärisch-industriellen Komplexes avanciert ist.

Die Frage lautet also: „Welche Strategie steckt hinter dem Ganzen?“, oder besser: „Gibt es überhaupt so etwas wie eine Strategie?“

Die Frage hat auch in Europa an Aktualität gewonnen, da mit dem Vorrücken der US/Nato-Verbände bis unmittelbar an die Grenze Russlands die unmittelbare Kriegsgefahr gewachsen ist. In der Ukraine führt die vom Westen mit Milliardensummen installierte und finanzierte teilfaschistische Putschregierung einen offenen Krieg gegen die Regionen, die sich den Putschisten nicht unterwerfen wollen. Auch die deutsch-geführte EU hat sich in diese gefährliche Konfrontationspolitik einbinden lassen, obwohl sie massiv deutschen Interessen zuwider läuft. Sie kostet Milliarden an Umsätzen, tausende Arbeitsplätze und tausenden Bauern ihre Existenz. Zeit also, nach dem Sinn des Ganzen zu fragen.

Der irische Journalist Andrew Cockburn („Saddam Hussein“; „Rumsfeld“; „Kill Chain“) vertritt in einem Beitrag in der traditionell-konservativen, anti-interventionistischen US-Zeitschrift „The American Conservative“ die These, dass den fortgesetzten, aber letztlich immer erfolglosen Kriegen vor allem ein Motiv zugrunde liegt: Der Schutz und die Förderung der eigenen, genauer der Interessen des militärisch-industriellen Komplexes (MIK).

Cockburn begründet seine These mit dem Charakter des anhaltend immensen Aufrüstungsprogramms. „Dramatische Programme, bei denen Unsummen in unsinnige, nutzlose und überflüssige Waffensysteme investiert“ würden, seien zur Norm geworden. Das schlagendste Beispiel sei das Billionen Dollar schwere (Obama-)Programm zur Erneuerung des gesamten US-amerikanischen Atomwaffenarsenals inklusive der dazugehörigen Trägermittel (Raketen, Langstrecken-Cruise-Missile, Flugzeuge, Schiffe und U-Boote) in den nächsten Jahrzehnten.

Allein die neuen Flugzeugträger der „Ford“-Klasse werden nach heutigen Preisen mit 13 Mrd. Dollar das Stück gehandelt. Der Systempreis der neuen F35-Joint-Strike-Fighter-Flotte, über ihre Lebenszeit gerechnet, wird (heute) mit 1,5 Billion Dollar beziffert. Ein Fass ohne Boden. Der neue strategische Bomber, B21, wird (ebenfalls heute) mit 564 Mio. Dollar das Stück gehandelt. 200 Stück stehen zur Debatte. Dazu kommt eine neue Generation U-Boote, Raketenabwehrsysteme, Roboter und Drohnen, Weltraum- und Cyberwar-Systeme mit Kosten immer im mehrstelligen Milliardenbereich. Allein für die Neukonstruktion und Miniaturisierung der Atomsprengköpfe werden 11 Mrd. Dollar in Anschlag gebracht.

Dass dieses gigantische strategisch-atomare Aufrüstungsprogramm in dröhnendem Gegensatz zu der vom Friedensnobelpreisträger, kürzlich selbst noch in Hiroshima sonor-getragen verkündeten Formel von der atomwaffenfreien Welt steht, bedarf keiner Erwähnung.

Dieses Rüstungsprogramm reflektiert, da hat Cockburn sicherlich recht, die Profit-, Macht- und Karriereinteressen des MIK. Aber, wie schon in den 1930er Jahren fungiert dieser Rüstungskeynesianismus zumindest partiell als Antwort auf eine große kapitalistische Krise. Anders als in den 1930ern sind die USA heute das global dominierende Imperium. Ein Imperium mit allen Zeichen des Verfalls. Der zerfallenden kulturellen Attraktivität und sozialen Integrationskraft. Umso bedeutender die militärisch-repressive Überlegenheit.

Strategische Vordenker des Imperiums wie Brzezinski haben versucht, vorgreifend diesen Abstiegsprozess im Sinne einer weisen Hegemonie verbündeter Staaten zu konzipieren. Die Ergebnisse zeigen klar: Sie sind gescheitert. Übrig geblieben sind die Technokraten der Macht. Diejenigen, die die Vorherrschaft der USA, „das nächste amerikanische Jahrhundert“, um jeden Preis, also vor allem militärisch, sichern wollen.

In der US-amerikanischen „National Military Strategy“ von Juli 2015 erscheinen denn auch Russland, China, Nordkorea und Iran als die gefährlichsten Gegner, ja Russland gar als Feind. Die Wahrscheinlichkeit eines Krieges mit diesen Mächten wachse. Dieser Sicht folgt mit den nötigen Abweichungen auch das neue Weißbuch der Bundeswehr. Mit Russland als „Feind“ ist denn auch die strategisch-atomare Aufrüstung plausibel. Wie zu Ronald Reagans Zeiten („Victory is possible“, FP) soll der Atomkrieg wieder als reale Option erscheinen und materiell möglich sein. Darum die „Mini-Nukes“, die Hypersonic-Träger, die Langstrecken-Cruise-Missiles, die strategischen Stealth-Bomber etc. etc. Die Welt nähert sich wieder dem Abgrund des Atomkrieges.

Strategisch betrachtet agieren die USA strukturell destruktiv. Es gibt kein positives Ziel. Das große Mantra, dem sich alles unterordnet, heißt: Es darf keinen chancenreichen Herausforderer geben.

Wie schon der britische – und nicht zu vergessen der deutsche –, hat sich auch der US-Imperialismus mit einer ungeheuren Blutspur in die Geschichte eingeschrieben. Das Chaos in „Greater Middle East“ ist kein „Kollateralschaden“ sondern eine Zwangsläufigkeit. Die gewaltige Aufrüstung signalisiert: Es ist längst nicht zu Ende.

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"Strukturell destruktiv", UZ vom 22. Juli 2016



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