Zweimal hat sich in den vergangenen Wochen Leonhard Birnbaum, CEO des deutschen Energiekonzerns E.ON, öffentlich zu politischen Debatten zu Wort gemeldet. Nach der Ankündigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, künftig müssten Gaslieferungen in unfreundliche Staaten nicht mehr in US-Dollar oder Euro, sondern in Rubel bezahlt werden, gab es angesichts der sofort aufschäumenden Bereitschaft von Teilen der politischen Führung, dann ganz auf russisches Gas zu verzichten, die fast schon flehentliche Bitte des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft, doch wenigstens die „Frühwarnstufe“ im nationalen „Notfallplan Gas“ auszurufen. Das Wirtschaftsministerium lehnte ab – nur keine Panikmache. E.ON intervenierte. Kurze Zeit später aktivierte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck den „Notfallplan Gas“.
Als wenige Tage später die Neigung der Bundesregierung – getrieben vor allem durch ihre „grünen“ Mitglieder und die USA – zunahm, auf russisches Gas zu verzichten, warnte Birnbaum am 28. März in den „ARD-Tagesthemen“ eindringlich vor „Folgeeffekten“. Es ginge um weit mehr als warme Stuben – vielmehr fehlten bald den Autowerken die Lenkstangen, wenn die Stahlproduzenten kein Gas mehr bekämen. Der Sofortausstieg aus den russischen Gasverträgen würde „Deutschland mehr schaden als Russland“. Das Ergebnis dieser Intervention war nicht nur auf deutscher, sondern auch auf europäischer Ebene zu sehen und wurde am 5. April von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verkündet. Markig erklärte sie, es werde nun ein Einfuhrverbot für russische Kohle verhängt. Das tut weder Russland noch der EU besonders weh – das jährliche Volumen dieses Geschäftszweigs liegt europaweit bei jährlich rund vier Milliarden Euro. Öl und Gas – im vergangenen Jahr ein Geschäft von 100 Milliarden Euro – fließen vorerst weiter aus Sibirien ins Ruhrgebiet und andere Orte in Westeuropa.
Wessen Wort in politischen Debatten selbst in aufgewühlten Zeiten ein solches Gewicht hat, der hat etwas im Rücken.
Einer der drei einflussreichsten Stromversorger der Welt
Auf der Bilanzpressekonferenz vom 16. März konnten Birnbaum und sein Vorstandskollege Marc Spieker zufrieden die Kernzahlen des abgelaufenen Geschäftsjahres verkünden, die sie zuversichtlich stimmen würden, auch die großen künftigen Herausforderungen zu bestehen. Stolz verwiesen sie darauf, dass E.ON „auf Platz drei der 50 einflussreichsten Stromversorgungsunternehmen der Welt“ stünde.
72.000 Beschäftigte sorgten im letzten Jahr für einen Umsatz von 77 Milliarden Euro und einen Konzernüberschuss von gut fünf Milliarden Euro.
Den Kern des offenbar erfolgreichen Geschäftsmodells beschreibt E.ON auf seiner Website selbst so: „Der E.ON Konzern ist einer der größten europäischen Betreiber von Energienetzen und Energieinfrastruktur sowie Anbieter innovativer Kundenlösungen für 50 Millionen Kunden. Wir treiben so die Energiewende in Europa entscheidend voran und setzen uns mit unserem Geschäft für Nachhaltigkeit, Klimaschutz und damit die Zukunft unseres Planeten ein.“
Viele dieser 50 Millionen wissen wahrscheinlich überhaupt nicht, dass ihre Überweisungen für Energierechnungen aller Art in der E.ON-Kasse landen und woher wiederum E.ON das bezieht, wofür sie zahlen. Das trifft für Kunden der Avacon in Niedersachsen ebenso zu wie für die Envia Mitteldeutsche Energie AG in Chemnitz oder die Westenergie AG in Essen – alles Teile des E.ON-Konzerns.
Das traditionelle Energiegeschäft – die Stromgewinnung aus Gas, Kohle und Öl – wurde im Zuge der Abspaltung von Uniper SE Anfang 2016 abgegeben. Was unter anderem bleibt, sind allerdings die noch laufenden drei deutschen Atomkraftwerke in Lingen, an der Isar und in Neckarwestheim. Es gibt dafür keine öffentlichen Belege – aber es wäre angesichts der intensiven politischen Wortmeldungen vor und hinter verschlossenen Türen wenig verwunderlich, wenn E.ON gegenwärtig auch ein kräftiges Wörtchen mitredet in der Diskussion darüber, ob die Laufzeiten dieser drei Kraftwerke nun verlängert werden sollen oder nicht.
Meister im Hütchenspiel
Die erwähnte Unübersichtlichkeit hinsichtlich der Frage, wer alles zu E.ON gehört, woher das Unternehmen seine Gewinne bezieht und welche politischen Strippen wo gezogen werden, hat System.
Entstanden ist der Konzern im Sommer des Jahres 2000 aus den damaligen Mischkonzernen VEBA und VIAG. Wer die Unternehmensgeschichte seitdem verfolgen und aufzeichnen will, braucht ein großes Stück Papier. Einkäufe, Verkäufe, Aktientauschgeschäfte betreibt die Firma in atemberaubender Geschwindigkeit. Namen wie Ruhrgas, VEBA-Oel, Aral und BP, die spanischen Firmen Endesa und Acciona, der niederländische Netzbetreiber Tennet, die GDF Suez, der österreichische Energieversorger Verbund AG, Gazprom, Uniper SE, Horizon Nuclear Power und andere tauchen in den Bilanzen auf und verschwinden wieder. Immer wieder eckt das Unternehmen bei diesem Hütchenspiel an mit Wettbewerbshütern auf nationaler wie auf europäischer Ebene und zahlte nach Ausschöpfung der Klagewege beispielsweise 2012 auf Verlangen der EU-Kommission eine Geldbuße von 320 Millionen Euro. Das hat auch deshalb nicht besonders wehgetan, weil in diesen Wirtshausschlägereien mal der eine, mal der andere mit einem blauen Auge davonkommt. Fast zeitgleich mit diesen Prozessen verklagte E.ON seinerseits die Bundesregierung wegen der Abschaltung der Atomkraftwerke auf einen Schadenersatz von 380 Millionen Euro. Das Unternehmen scheiterte zwar mit seinem Verlangen, den Atomausstieg wegen der Verletzung von Eigentumsrechten für verfassungswidrig zu erklären, bekam aber den Anspruch auf eine „angemessene Entschädigung“ zugesprochen.
Meister im Greenwashing
Wer sich auf der E.ON-Website über das Unternehmen informieren will, wird nicht zuerst auf die schon erwähnten Kernzahlen und noch weniger auf die Verflechtungen des Konzerns gestoßen, sondern trifft auf das markante Gesicht des Bergsteigers Reinhold Messner, der – mit anderen vor einem Alpengletscher stehend – eindringlich zum Handeln gegen die drohende Klimakatastrophe aufruft. Nach ihm kommen – ohne Namensnennung – Ingenieure, eine Großmutter, ein Kind und andere zu Wort, die seine Botschaft unterstützen, sowie – mit Namensnennung – der CEO des Unternehmens, ergänzt an anderer Stelle durch die Aufzeichnung eines ausführlichen Gesprächs zwischen Messner und Birnbaum vor der Kulisse der Dolomiten.
Der Konzern zeichnet das Bild eines Treibers der von der Bundesregierung ausgerufenen Energiewende, betont allerdings die Langfristigkeit dieses Kurswechsels – so etwa auf der Pressekonferenz vom 16. März, auf der Birnbaum klarstellte: „Es geht um unsere Energieversorgung. Heute und in Zukunft. Und es geht immer darum, bei alldem zu unterscheiden: Zwischen den kurzfristigen Verwerfungen in den nächsten Monaten und der langfristigen Perspektive. (…) Langfristig ist der eingeschlagene Weg der Energiewende der richtige. E.ON bekennt sich gerade in dieser Krise ausdrücklich zur grünen Transformation. Aber wir werden nur erfolgreich sein, wenn wir den Ausbau jetzt massiv beschleunigen. Das Gleiche gilt für die Modernisierung und Digitalisierung unserer Stromnetze. (…) Aber das ist alles langfristig. All das wird uns kurzfristig nicht helfen, über den nächsten Winter, über die nächsten zwei bis drei Jahre zu kommen. Kurzfristig geht es jetzt um eine unter den gegebenen Umständen größtmögliche Stabilität unserer Versorgung.“
Profitquelle E-Autos
So sehr sich E.ON – wie wir gesehen haben, mit Erfolg – für die Aufrechterhaltung der Versorgung mit fossilen Energieträgern engagiert, so entschieden setzt das Unternehmen auf den Ausbau der Elektrifizierung des Individualverkehrs. In der erwähnten Pressekonferenz klang das so: „Ein starkes Momentum sehen wir … bei (der) Elektromobilität. Der Knoten ist geplatzt. Die Zulassungszahlen von E-Autos gewinnen an Fahrt. Und E.ON liefert die Ladeinfrastruktur dafür. Bis 2026 wollen wir unseren Umsatz in diesem Bereich mehr als verzehnfachen.“ Dort sollen, subventioniert mit Steuermitteln und begleitet von ökologischer Seelenmassage, die Quellen künftiger Profite sprudeln – und zwar reichlich.
Das Zieljahr 2026 ist nicht zufällig gewählt. Es fällt zusammen mit einem Renditeversprechen an die Aktionäre: „Wir bestätigen heute unsere langfristigen Ambitionen bis zum Jahr 2026 (…) Für das vergangene Geschäftsjahr werden wir der Hauptversammlung eine Dividende von 49 Cent je Aktie vorschlagen. Das ist die siebte Steigerung in Folge. Zugleich bestätigen wir damit unser Ziel, unsere Dividende jährlich um bis zu fünf Prozent bis 2026 zu steigern.“
Durch alle Wechsel der Energieträger hindurch und egal, welche Sympathieträger dafür eingespannt werden, zeigt dieses Versprechen den Fixstern des Unternehmens: Umsatz und vor allem Profite steigern.
Sackgasse E-Auto
Die von E.ON sowohl forcierte als auch bejubelte Dynamik, mit der zurzeit in den Pkws dieses Landes (in der Perspektive dann möglicherweise auch in den Lkws) Verbrennungsmotoren durch Elektromotoren ersetzt werden, ist eine Sackgasse. Darauf hat im Frühjahr 2019 die Zeitschrift „Lunapark 21“ in einer die verschiedenen Aspekte dieses Irrwegs beleuchtenden Ausgabe hingewiesen, in der sie eindringlich vor dem „Klima- und Verkehrskollaps aus der Steckdose“ warnt.
Gestützt auf dieses Heft sollen hier die wesentlichen Argumente gegen das, was E.ON künftig noch mehr in die Kassen spülen soll, knapp zusammengefasst werden:
- Statt den öffentlichen Personenverkehr umweltverträglich auszubauen und so den umweltschädlichen motorisierten Individualverkehr zurückzudrängen, wird der Hype der E-Mobilität die Weltautoflotte vergrößern.
- Vielfach sind aktuell die – durch Steuerzahler subventionierten – Elektroautos Zweit- und Drittwagen, häufig (zum Beispiel die Tesla-Modelle) im obersten Preissegment, mit einem Ressourcenverbrauch, der den von Autos mit Verbrennungsmotoren deutlich übersteigt. Im Durchschnitt sind diese Fahrzeuge 25 Prozent schwerer als normale Mittelklasse-Pkws. Damit steigt nicht nur die Belastung für die Infrastruktur (Straßenbeläge, Parkhäuser und so weiter), sondern auch die Unfallgefahr.
- Schon jetzt gehen die Preise für Nickel, Lithium und Seltene Erden durch die Decke. Das liegt nicht nur am Wirtschaftskrieg gegen Russland, sondern eben auch daran, dass diese Metalle für die Entwicklung der elektrischen Antriebssysteme zentral sind. Der Kampf um Rohstoffe wird sich verschärfen – und diese Verschärfung wird immer bereitwilliger mit kriegerischen Mitteln ausgetragen.
- Die staatlichen Subventionen für die Elektromobilität nützen vor allem zwei Gruppen: solchen Unternehmen wie E.ON und den akademischen Mittelschichten mit Grundeigentum. Letztere bekommen – für Elektroautos oder die Errichtung von Ladestationen – satte staatliche Zuschüsse, die über (mit der Inflation steigende) Verbrauchssteuern von den unteren Klassen in die Staatskasse gezahlt werden, und transferieren sie letztlich in die Kassen von E.ON und Co. Wie eine Batterie Stoffe an ihren beiden Polen ansammelt, scheidet die Elektromobilität die Pole Arm und Reich stärker als je zuvor.
- Die staatlichen Mittel, die darüber hinaus in die Errichtung einer öffentlichen Ladeinfrastruktur sowie die Entwicklung und Forschung zur Batterietechnologie fließen, fehlen an anderen Stellen. Letztlich haben auch die viel beklagten Kürzungsorgien im Bereich der Kultur und der nicht technischen Wissenschaften an den Universitäten mit dieser Orientierung auf E-Autos zu tun.
Nicht nur von links werden diese Argumente gesehen. Selbst die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (FAS) räumte am 12. Mai 2019 in einem ganzseitigen Artikel unter der Überschrift „Warum das Elektroauto scheiterte“ ein, dass weder die Debatten um die angeblichen Vorteile der Elektroautos noch die Nachteile dieser Fahrzeuge neu seien: „Um das Jahr 1900 sah es schon einmal so aus, als könne die Elektromobilität den damaligen Dreikampf mit dem Verbrenner und den dampfgetriebenen Autos gewinnen. (…) Bis zu 40 Prozent der Autos auf amerikanischen Straßen waren elektrisch betrieben, mehr als 500 Modelle soll es auf der ganzen Welt gegeben haben.“ Diese Art der Mobilität hätte sich aber aus Gründen, die heute immer noch gälten, nicht durchgesetzt: „Sie konnten nicht weit fahren, die Batterien mussten instand gehalten werden und nutzten sich schnell ab, und man konnte nicht einfach einen Kanister mit Elektrizität im Auto mitnehmen“, zitiert die „FAS“ ein Washingtoner Museum, das sich auf die Geschichte der Individualmobilität spezialisiert hat.