ver.di-Gewerkschaftsrat beschließt Kompromiss im Streit um die Energiepolitik. Klare Position fehlt dagegen

Streit vorerst beigelegt

Von Bernd Müller

Der Gewerkschaftsrat der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) hat die Position der Organisation zur Braunkohle geändert – wenn auch nur teilweise, wie ihr von Umweltverbänden vorgehalten wird. Mit diesem Kompromiss soll offenbar der schon seit Monaten schwelende interne Konflikt beigelegt werden.

Am 17. März hatte der Gewerkschaftsrat bekräftigt, dass die Energiewende in Deutschland konsequent zum Erfolg geführt werden müsse, heißt es in einer Pressemitteilung. Während der genaue Wortlaut des Beschlusses noch nicht öffentlich zugänglich ist, wird ver.di-Bundesvorstandsmitglied Andreas Scheidt zitiert. Demnach sagte dieser: „Flexible, schnell regelbare Kraftwerke auf Basis fossiler Energieträger werden noch für eine Übergangszeit benötigt, um die wetterabhängige Stromerzeugung von Wind- und Solarkraftwerken zu ergänzen“. Sollte sich aber herausstellen, dass es möglich sei, aus der Kohleverstromung schneller auszusteigen als bislang vorgesehen, müsse die notwendige soziale Absicherung der Beschäftigten mit staatlichem Flankenschutz erfolgen.

Das sei offenbar ein Kompromiss „der keinem weh tun soll, aber alles andere als eine klare Position darstellt“ wertet die Umweltgruppe Cottbus, die ver.di-Mitglieder aus der Lausitz bei der Positionierung unterstützt hat, den Beschluss in einer Mitteilung.

Mehr als ein unverbindlicher Kompromiss war wohl auch nicht zu erwarten, ging es der ver.di-Führung vor allem darum, den gewerkschaftsinternen Streit um die energiepolitische Position zu entschärfen. Seit dem Bundeskongress im vergangenen September in Leipzig hatte er sich immer weiter zugespitzt. Dort lagen den Delegierten ein Leitantrag und zwei Änderungsanträge zur Energie- und Klimapolitik vor, die aber nicht behandelt, sondern an den Gewerkschaftsrat zur Entscheidung verwiesen wurden.

Einer der beiden Änderungsanträge forderte unterm Strich einen konkreten Fahrplan für den Ausstieg aus der besonders klimaschädlichen Verstromung von Braunkohle. Dieser müsse schnellstmöglich erfolgen; der damit einhergehende Strukturwandel müsse aktiv gestaltet werden und dürfe nicht zu Lasten der Arbeiter gehen. Darüber hinaus dürften keine neuen Tagebaue aufgeschlossen werden. Dagegen hieß es im Leitantrag, es seien „in den kommenden Jahrzehnten weiterhin flexibel einsetzbare Kraftwerke“ nötig, die „möglichst hocheffizient“ Strom erzeugten. Dazu würden auch Anlagen gehören, in denen Braun- oder Steinkohle verbrannt wird.

Um ihrem Ansinnen Nachdruck zu verleihen, hatten die Befürworter des Änderungsantrages auf dem Online-Portal Campact eine Petition gestartet, um auf der Tagung des Gewerkschaftsrates den „Pro-Kohle-Kurs“ von ver.di zu beenden. Ein „Bekenntnis zur Kohle auf Jahrzehnte – also ohne Befristung – geht auch für eine Gewerkschaft im Jahre 2016 nicht mehr“, hieß es dort.

Zeitgleich mit dem Bekanntwerden der Petition trat Reinhard Klopfleich, ver.di-Energieexperte aus dem Bereich Ver- und Entsorgung an die Öffentlichkeit. Würde der Ausstieg aus der Braunkohle- und Steinkohleverstromung über Jahrzehnte gestreckt, wäre er nach Auffassung der Gewerkschaft ohne betriebsbedingte Kündigungen machbar, sagte Klopfleich damals nach Medienberichten. Dabei müsste der Staat in erheblichem Umfang finanziell helfen. Für Abfindungen, Vorruhestandsgelder und Umschulungen müsste eine Menge Geld in die Hand genommen werden. „Das kann eine Milliarde oder mehr werden, aber es geht“, betonte der Gewerkschafter.

Diese Position wurde dann auch von ver.di-Vorstand Andreas Scheidt kurz vor der Tagung des Gewerkschaftsrates bekräftigt. Wenn sozialverträgliche Lösungen für die Arbeiter in der Kohlebranche gefunden würden, seien auch Enddaten vor dem bisher angepeilten Jahr 2050 denkbar, sagte er laut Online-Magazin klimaretter.info (16.03.2016). Der Staat müsse dann allerdings „Flankenschutz bieten und Geld in die Hand nehmen, um Beschäftigungsalternativen für die Betroffenen zu schaffen“. Allerdings sei es seiner Meinung nach nicht zielführend, „sich jetzt auf ein Kohle-Ausstiegsdatum festzulegen“. Vielmehr müsse die Politik dafür sorgen, dass der sehr niedrige Börsenstrompreis wieder ansteigt, damit die aus dem Markt gedrängten klimafreundlichen Gaskraftwerke wieder profitabel würden.

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"Streit vorerst beigelegt", UZ vom 1. April 2016



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