Angriff auf das Recht auf Arbeitsniederlegung ist aber nicht vom Tisch

Streikverbot gekippt

Heiko Schmidt

Das Berliner Arbeitsgericht hat die einstweilige Verfügung gegen den Warnstreik der Pflege in den Vivantes-Kliniken am 24. August zurückgenommen. Dem Gericht zufolge seien nun die Argumente von ver.di für eine Notdienstvereinbarung nachvollziehbar. Zuvor folgte das Arbeitsgericht allein der Auffassung der Vivantes-Geschäftsführung.

Diese hatte eine gemeinsame Notdienstvereinbarung bis dahin verhindert, da der Betriebsablauf gewährleistet sein müsse, also im Grund der Normalbetrieb. Das klingt wie Hohn für die Beschäftigten, denn schon im normalen Betrieb reicht das Personal oft vorn und hinten nicht. Diesen Angriff auf ihr Streikrecht per Gericht mussten sie bereits Anfang Juli schon einmal erleben. Nun, in einer deutlich zugespitzten Situation, sorgte das Streikverbot am ersten Tag des Warnstreiks für massiven Unmut. Das musste der Vivantes-Geschäftsführer Danckert erleben, als er zum Schluss der ver.di-Kundgebung vor der Konzernzentrale reden wollte. Am Nachmittag des 23. August mussten die Streikleitungen sich zurückziehen. Pflegekräfte, die seit dem frühen Morgen Streikposten gestanden oder stundenlang vor der Vivantes-Zentrale demonstriert hatten, mussten ihren geplanten Spätdienst auf Station antreten.

ver.di und die Berliner Krankenhausbewegung riefen später dazu auf, am 24. August um 10 Uhr vor dem Berliner Regierungssitz, dem Roten Rathaus, zu demonstrieren. Hunderte Streikwillige folgten dem Aufruf. Sie machten dem Berliner Senat damit deutlich, dass sie ein Streikverbot nicht hinnehmen werden. Sie forderten den Senat auf, von seinem Weisungsrecht als Eigentümer von Vivantes und Charité Gebrauch zu machen und die Streikenden dadurch zu unterstützen. Anschließend wurden Delegationen zum Arbeitsgericht geschickt, wo ab 13 Uhr eine Verhandlung zur Rechtmäßigkeit des Streiks stattfand.

Der Klinikleitung ging es nur vordergründig um die Frage der Notdienstvereinbarung. Tatsächlich ging es in der Argumentation vor Gericht um die Relevanz der Friedenspflicht angesichts der Forderung nach einem Tarifvertrag Entlastung (TV-E). Nach Auffassung der Geschäftsführung ist die Frage der Entlastung bereits im TVöD geregelt, und damit unterliege der gegenwärtige Arbeitskampf der Friedenspflicht. Dem hielt ver.di entgegen, dass es im Entlastungstarifvertrag um Mindestbesetzungen der Station und um Belastungsausgleich in Freizeit oder Geld geht. Im TVöD dagegen geht es nur um Belastungen durch Nachtdienste und Überstunden.

Richter Kirsch ist unter Betriebsräten als „arbeitgeberfreundlich“ bekannt. Die Frage des Streikrechts beim Arbeitskampf um einen Entlastungstarifvertrag hält Kirsch für offen. Das Verfahren über die Zulässigkeit läuft weiter, ein abschließendes Urteil steht noch aus. Damit ist der Angriff auf das Streikrecht noch nicht abgeschlossen. Das Urteil wird Bedeutung für alle folgenden Kämpfe um Entlastung haben.

Die Klinikleitung gab sich enttäuscht. Direkt nach der Entscheidung des Gerichts am Dienstag vergangener Woche äußerte sie Bedauern über die noch ausstehende Klärung der Friedenspflicht. Zugleich forderte sie ver.di auf, an einem Runden Tisch mit Vivantes über das Thema Entlastung zu verhandeln. Später wurde angekündigt, neutrale Persönlichkeiten für den Runden Tisch mit einzuladen. Berlins Regierender Bürgermeister Müller (SPD) forderte alle Seiten auf, Kompromisse zu machen.

Die Beschäftigten von Vivantes hatten einen ganzen Tag in ihrem dreitägigen Warnstreik verloren. Am 19 Uhr konnte der Streik offiziell fortgesetzt werden. Am nächsten Morgen standen wieder alle Streikposten. Am Vormittag formierte sich ein Protestzug von 2.000 Vivantes- und Charité-Beschäftigten von der Vivantes-Zentrale zum Campus Virchow-Klinikum. Die lautstarke Demonstration bildete den organisatorischen Höhepunkt des Warnstreiks. Damit konnte die Berliner Krankenhausbewegung einen Streik an allen zwölf landeseigenen Klinikstandorten durchsetzen und starken Druck auf den Berliner Wahlkampf ausüben.

ver.di gab am Montag bekannt, dass an diesem Tag die Urabstimmung ihrer Mitglieder bei Vivantes, den Vivantes-Töchtern und in der Charité begonnen hat. Wenn es nicht zu substanziellen Verhandlungsergebnissen kommt, folgt je nach Ergebnis der Urabstimmung der unbefristete Erzwingungsstreik. Für Mittwoch nach Redaktionsschluss dieser UZ ist die nächste Verhandlungsrunde für die Charité geplant. Ebenfalls in dieser Woche soll die siebte Verhandlungsrunde für die Vivantes-Tochterunternehmen stattfinden. Ein verhandlungsfähiges Angebot ist dort nicht absehbar.

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"Streikverbot gekippt", UZ vom 3. September 2021



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