Verfassungsgericht hält Tarifeinheitsgesetz für rechtens

Streikrecht beschnitten

Von Volker Metzroth

Das Tarifeinheitsgesetz ist weitgehend mit dem Grundgesetz vereinbar“. So entschied das Bundesverfassungsgericht entgegen den Erwartungen progressiver Arbeitsrechtler am 11. Juli. Das Gericht gab dem Gesetzgeber nur auf, einiges nachzubessern. Die „Kleinarbeit“ sollen später die Arbeitsgerichte erledigen. Zum Fundament der Einheitsgewerkschaft gehört nebst der Offenheit für alle politische Richtungen, außer Faschisten und Rassisten, das Prinzip: ein Betrieb, eine Gewerkschaft, ein Tarifvertrag. Das ist aber eine gewerkschaftliche Kampfaufgabe, keine parlamentarische Spielwiese. Jetzt zeigte sich, wie es – hoffentlich vorläufig – ausgehen kann, wenn, wie geschehen, Teile der Gewerkschaften mit der SPD hier per Gesetz regeln oder gar mit den Unternehmern das Arbeitskampfrecht regulieren wollen.

Deren klassenbewusste und -kämpferische Organisationen wie die „LVU – die Unternehmer in Rheinland-Pfalz“, begrüßten das Urteil. Sie versprechen sich noch weniger Arbeitsniederlegungen im mit 15 Tagen je 1 000 Beschäftigten streikarmen Deutschland. In Dänemark sind es 123, in Frankreich 162. Auch das Gros der Medien jubelte. Nie wieder stünden Züge still oder höben Flugzeuge nicht ab. Dabei warfen sie nicht nur Begriffe wie Betrieb, Unternehmen und Konzern durcheinander, als sei das rechtlich so bedeutungs- wie mancher Kommentator ahnungslos. Fakt ist z. B., dass die ungeliebte GdL (Gewerkschaft deutscher Lokomotivführer) in einigen Bahnbetrieben die Mehrheitsgewerkschaft ist, dort also die Tarifverträge der EVG verdrängt werden könnten.

Angefangen hatte es mit einer „Gemeinsamen Initiative“ von DGB und BDA nach dem DGB-Kongress 2010 – ohne gewerkschaftliche Diskussion. Das Bundesarbeitsgericht hatte zuvor mehrere Tarifverträge in einem Betrieb zugelassen. Diese Initiative scheiterte unter anderem an der Basisdiskussion in ver.di, aber auch an der FDP. Als die SPD ab 2013 unter Merkel mitregieren durfte, kam die Tarifeinheit per Gesetz wieder auf die Tagesordnung.

Spartengewerkschaften wie der „Marburger Bund“, „Cockpit“ und die GdL hatten mit wenig Streikenden große Wirkungen erzielt, in einem auf Sozialpartnerschaft getrimmten Umfeld für kleine Erdbeben gesorgt. Dass ver.di das unter vergleichbaren Umständen auch kann, zeigten nicht nur die Streiks des Abfertigungspersonals auf Flughäfen. Zudem verstehen sich die DGB-Gewerkschaften auch als gesellschaftspolitische Kraft, engagieren sich unterschiedlich stark z. B. auch für Frieden und Antifaschismus. Wo tun das GdL und Co.?

Während die IGBCE dem Gesetz zustimmte, kritisierte die IGM einige Punkte, so das Nachzeichnungsrecht. Das wurde jetzt gestärkt. Es berechtigt jene „Gewerkschaften“, die nie streiken, für ihre Mitglieder die Tarifverträge der DGB-Gewerkschaften nachzuzeichnen. Das ist Lebenshilfe für Beitrags-Billigheimer, die auch Dumpingtarifverträge abschließen. Deren Interessen sollen nun mitberücksichtigt werden, kritisiert ver.di. Zudem zwingt das Gesetz Mitgliederzahlen offen zu legen, wenn z. B. irgendjemand behauptet, Mehrheitsgewerkschaft im Betrieb zu sein. Dann könne das Management besser kalkulieren, was es sich erlauben kann, wird argumentiert. Nichts sagte das Verfassungsgericht dazu, dass die Unternehmer Betriebe so zuschneiden können, dass eine Gewerkschaft plötzlich Minderheit ist. Das Urteil schafft neue Rechtsunsicherheit; denn weniger als vorher ist klar, was rechtens sein soll und was zu ruinösen Regressforderungen führen könnte.

Längst sind jene aktiv, die mehr wollen. So die CSU ein „modernes Streikrecht“ mit Vorankündigungsfristen. Viele Streiks könnten wirkungslos werden. ver.di kritisierte die EU-Kommission, die will, dass Fluglotsen Streiks 14 Tage vorher und drei Tage zuvor die Namen der Streikenden ankündigen sollen. Tarifverhandlungen verkämen so zum kollektiven Betteln.

Das Bundesverfassungsgericht unterließ es auch, überhaupt mal den Weg für ein umfassendes, demokratisches Streikrecht frei zu machen. In Deutschland gibt es nur Arbeitskampfrecht, das sich auf tarifvertraglich regelbare Umstände beschränkt. Ein wirkliches Streikrecht wird aber kein Gericht und kein Parlament beschließen, das werden sich die Arbeitenden nehmen müssen, wie in anderen Ländern früher und heute auch.

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"Streikrecht beschnitten", UZ vom 21. Juli 2017



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