Streiken für die Schulsanierung

Christoph Hentschel im Gespräch mit Freya Pillardy

Freya Pillardy ist aktiv in der SDAJ und im Bildungsbündnis „Unsere Zukunft erkämpfen“ Kassel

Freya Pillardy ist aktiv in der SDAJ und im Bildungsbündnis „Unsere Zukunft erkämpfen“ Kassel

UZ: In Kassel haben Schüler mehrerer Schulen ein Bildungsbündnis gegründet. Wie kam es dazu?

Freya Pillardy: Wir haben an Kasseler Schulen, wie an allen Schulen in allen größeren Städten, das Problem, dass es massiv an Geld fehlt. Es fehlen über 140 Millionen Euro für Sanierungen. Im Haushaltsplan der Stadt sind aber gerade mal 3 Millionen Euro dafür veranschlagt. Ein besonders krasses Beispiel ist da die Offene Schule Waldau, wo es reinregnet, wo Stühle in Naturwissenschaftsräumen fehlen, wo eigentlich keine Experimente mehr gemacht werden dürfen, weil alle Geräte den TÜV nicht überstanden haben. Das ist jetzt ein besonders krasses Beispiel. Aber auch an anderen Schulen gibt es massive Probleme, z. B. mit Sporthallen oder Toiletten, die fehlen oder die nicht saniert sind, obwohl die Schulgebäude generell marode sind.

Letztendlich kam es zu dem Bündnis dadurch, dass einige SDAJler an der Offenen Schule Waldau in der SV waren und dort angefangen haben, an dem Thema zu arbeiten. Da gab es Ende des letzten Schuljahres einen Projekttag, an dem die Schüler sich mit der Thematik beschäftigt haben und es eine Demo gab, worüber die Presse berichtet hat (UZ berichtete auch). Wir kamen damals zur Einsicht, dass dies nicht die einzige betroffene Schule in Kassel ist und dass es weitergehen muss. Wir haben uns an die Linkspartei im Rathaus gewandt. Die sagten, sie würden einen Antrag stellen, in dem sie für den neuen Haushaltsplan mehr Geld für die Sanierung von Schulen fordern. Um Druck auf die Stadt zu schaffen, bräuchte es aber auch ein Bündnis. Vor allem wir als SDAJ haben dann die Initiative ergriffen und ein Bündnis gegründet, das es jetzt seit Anfang dieses Schuljahres gibt, wo viele verschiedene Schulen vertreten sind. Auf den Bündnistreffen sitzen etwa zwanzig Schüler von verschiedenen Schülervertretungen. Der Kreis- und Stadtschülerrat unterstützt das Bündnis.

UZ: Du hast es angesprochen, aber welche Hauptprobleme wollt ihr als Bildungsbündnis aufgreifen? Wo liegen eure Prioritäten?

Freya Pillardy: In unserem Bildungsbündnis ist jedem bewusst, dass es weit mehr Probleme gibt als den Zustand der Schulen – seien es überfüllte Klassen, in denen man nicht gut lernen kann, immer weiter steigender Leistungsdruck usw. Das thematisieren wir immer wieder, bei Kundgebungen, in Reden, aber der Hauptpunkt liegt auf dem Sanierungsstau bei den Kasseler Schulen. Das ist erst mal unsere Priorität, auch wenn es noch andere Probleme gibt, weil genau das etwas ist, was wir direkt in Kassel ändern können. Für die Gebäude und für die Ausstattung ist die Stadt Kassel zuständig und nicht das Land, was es sonst wesentlich schwieriger machen würde, effektiven Protest zu organisieren.

UZ: Was hat das Bildungsbündnis bisher gemacht und stehen noch weitere Aktionen an?

Freya Pillardy: Die erste Aktion lief unter dem Motto „Bildung am Boden“. Das war eine Kundgebung mit etwa 80 Schülerinnen und Schülern, die, wie gesagt, auf dem Boden stattgefunden hat, direkt vor dem Rathaus, wo kurz danach eine Stadtverordnetenversammlung stattfand. Wir wollten dann der Stadtverordnetenversammlung beiwohnen und zuhören, wenn es um das Thema Schulsanierung ging. Dann stand aber auf einmal die Polizei vor dem Rathaus und hat gesagt: Nein, ihr könnt da nicht rein, da ist kein Platz. Dann ist der Bürgermeister zu uns raus gekommen, hat gesagt, er findet das ganz toll und er möchte mit uns ein Gespräch führen. Dieses Gespräch hat auch stattgefunden. Dort wurde uns aber nur erzählt, dass das Geld nicht da ist. Dabei wissen wir ganz genau, dass das Geld da ist. Es gibt einen riesigen Haushaltsüberschuss, der seit Jahren nicht investiert wurde. Oder auch das Rathaus wurde vor kurzem für 16 Millionen Euro saniert. Oder der Flughafen Kassel-Calden, der der Bevölkerung nichts bringt, sondern Kassel lediglich als Wirtschaftsstandort für die Industrie attraktiv macht. Auch durch eine Erhöhung der Gewerbesteuern könnten die Schulen saniert werden.

Vor ein paar Wochen haben wir eine Satiredemo gemacht, auf der wir die Bildung beerdigt haben. Das heißt, wir haben einen Sarg gehabt, waren alle schwarz angezogen und hielten verschiedene Trauerreden, in denen wir nicht nur die Bildungsunterfinanzierung, sondern auch andere Probleme dieses Schulsystems kritisiert haben.

Wir gehen mit entsprechenden bildungspolitischen T-Shirts in die Ausschusssitzungen, einfach um unsere Präsenz zu zeigen. Wir sammeln darüber hinaus auch Unterschriften an vielen Schulen. Ein Beispiel ist die Hegelsbergschule in Kassel. Das ist eine Schule, die als „soziale Brennpunktschule“ bezeichnet wird. Dort haben die Schülerinnen und Schüler in den letzten Wochen 500 Unterschriften für mehr Geld für Bildung gesammelt. Andere Schulen folgen und sammeln Unterschriften. Wir können die Gesamtzahl noch nicht einschätzen. Diese Unterschriftenlisten werden an die Fraktionen im Rathaus abgegeben. Wir haben aber keine allzu großen Illusionen, dass Gespräche mit den Fraktionen das lösen werden. Dazu müssen wir selber durch Aktivitäten dafür sorgen, dass der öffentliche Druck groß genug ist.

Was jetzt noch weiter geplant ist, ist eine inhaltliche Veranstaltung, wo wir versuchen, Schülerinnen und Schülern zu erklären, dass der Bildungsstreik die richtige Aktionsform ist und es sich lohnt zu streiken. Darauf wird am 11.12. ein Schulstreik folgen, wo wir von einer Beteiligung von mehreren hundert SchülerInnen ausgehen. Das ist der Tag der Haushaltsverabschiedung in Kassel. An diesem Tag müssen wir noch mal besonders Druck ausüben, weil dann die Entscheidung fällt. Deswegen macht auch das staatliche Schulamt bei uns gerade Stress. Sie schreiben die Schulleiter an und fordern sie auf, Schülerinnen und Schüler zu bestrafen, wenn sie sich am Schulstreik beteiligen. Wir lassen uns aber nicht einschüchtern.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Streiken für die Schulsanierung", UZ vom 1. Dezember 2017



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Haus.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit