In der kommenden Woche wird Ebrahim Raisi, klerikaler Hardliner, den Staffelstab vom „liberalen Reformpräsidenten“ Hassan Rohani übernehmen. Zudem wird das Land von einer Elektrizitätskrise, einem Streik im Öl-Sektor, den Atomverhandlungen, Angriffen des US-Imperialismus sowie der Fertigstellung eines Öl-Terminals in Atem gehalten.
Aber der Reihe nach: Die 1.000 Kilometer lange Öl-Pipeline, die die Vorkommen im Landesinneren mit den Verladehäfen im Süden (Sistan-Belutschistan) verbindet, ist fertig. Sie umgeht die störanfällige Meerenge der Straße von Hormus und gilt insofern als geostrategischer Meilenstein. Vor dem Rückzug der USA aus dem Nuklearabkommen mit dem Iran betrug die exportierte Menge 2,5 Millionen Barrel pro Tag (2015). Heute gehen Experten von einer realistischen Fördermenge zwischen 500.000 und einer Million Barrel täglich aus. Der iranische Rentierstaat ist hoch abhängig von diesen Einnahmen. Aufbauend auf den völkerrechtswidrigen Sanktionen führt Joseph Biden das Geschäft des „maximalen Druckes“ fort. In den vergangenen Tagen wurde bekannt, dass mutmaßlich abgehaltene geheime Verhandlungen zu einem neuen Atomabkommen in Wien vorerst auf Eis liegen.
Der Iran erklärte, diese würden unter der neuen Regierung wieder aufgenommen. Eine Einigung rückt in weite Ferne. Raisi muss, trotz verhaltener Zustimmung zu Verhandlungen, auf die systemimmanenten Kontrahenten Rücksicht nehmen. Der oberste Religionsführer sowie das wirtschaftliche Geflecht rund um die mafiösen Revolutionsgarden sahen die Gespräche in der österreichischen Hauptstadt von Anfang an skeptisch. Erschwerend kommt hinzu, dass der US-Imperialismus den Druck auf Iran erhöht: Die Biden-Administration plant weitreichende Sanktionen gegen die chinesischen Käufer iranischen Öls. Die Staatsanwaltschaft New York erhob Anklage gegen vier iranische Diplomaten, die angeblich planten, eine US-iranische „Menschenrechtsaktivistin“ aus Brooklyn zu entführen. Außerdem soll Iran nach Angaben des Anti-Spionage-Chefs von Facebook, Mike Dvilyanski, versucht haben, Informationen von Mitarbeitern der amerikanischen Rüstungsindustrie abzuschöpfen.
Im Juli kam es zu teils eklatanten Stromausfällen. Wütende Iranerinnen und Iraner demonstrierten gegen die anhaltenden Missstände. Dank Temperaturen von bis zu 50 Grad schnellte der Verbrauch massiv in die Höhe und lag mit 66 Gigawatt zu 20 Prozent über der iranischen Heimproduktion. Die allgegenwärtigen Sanktionen erschweren Teheran den Zugang zu Bau und Wartung neuer oder bestehender Anlagen. Anhaltende Dürre und das Wegbrechen des Handels mit Bagdad verschärfen die Lage.
Seit vier Wochen streiken zudem Arbeiter mit Zeitverträgen in der lebenswichtigen Öl-Branche: Die Kollegen fordern höhere Löhne, bessere Arbeitsschutzmaßnahmen, ein Ende der Zeitverträge und eine Reduktion der Arbeitszeit. Brandgefährlich für die herrschende Clique ist zudem, dass sich erste Teile der bessergestellten Stammbelegschaften den Streikenden angeschlossen haben. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den Beginn der iranischen Revolution, der von landesweiten Ausständen im ölfördernden Gewerbe begleitet wurde. Den sozialpolitischen Hintergrund der Proteste stellen die Inflationsrate von 50 Prozent, die katastrophale Covid-19-Lage im Land mit 83.000 Toten und3.5 Millionen Infizierten, sechs Millionen Arbeitslose, 20 Millionen Tagelöhner, die Liquidierung von 15.000 Betrieben seit 2020 dar sowie die 50 Prozent der Iraner, die unterhalb der Armutsgrenze leben. 60.000 Arbeiterinnen und Arbeiter in 70 Subunternehmen aus 19 Städten schlossen sich dem Streik an.
Die staatliche Repression sowie die Konzerne reagierten mit Entlassungen, offenen Drohungen sowie zur Schlichtung mit der Gründung eines „Islamischen Rates“. Die Herrschenden im Iran sehen sich turbulenten Tagen ausgesetzt. Greift der Streik auf weitere Branchen und Betriebe über und versagt die herrschende Klasse in der Verbesserung der Lage, kann die Luft für Ebrahim Raisi bald unangenehm dünn werden.