Zehntausende legen ihre Arbeit nieder, um die Angleichung Ost zu erkämpfen

Streik nach Pilotabschluss

IIn der vergangenen Woche streikten Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie im Tarifbezirk Berlin, Brandenburg und Sachsen für ihre zentrale Forderung: die Angleichung Ost. Sie wollen die Ungerechtigkeit, dass im Osten immer noch drei Stunden pro Woche mehr gearbeitet werden als im Westen, endlich beenden.

In der Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie hatten sich zuvor mehr als eine Million Kolleginnen und Kollegen bundesweit für ihre Forderungen ins Zeug gelegt: 4 Prozent höhere Löhne sowie Vereinbarungen für eine etwas sicherere Zukunft. Das war durchaus bescheiden. Ganz anders verhielten sich die Metallkapitalisten. Sie nutzten die Tarifrunde gezielt, um eine Vielzahl von Angriffen auf die Errungenschaften der Gewerkschaftsbewegung zu fahren – unter anderem auf Löhne, Sonderzahlungen, Spät- und Nachtschichtzuschläge, Pausenregelungen, Alterssicherung und Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld.

Nach vier Wochen Warmlaufen, in denen die Metallerinnen und Metaller ihre Kampfbereitschaft gezeigt hatten, vereinbarte der IG-Metall-Bezirk in Nordrhein-Westfalen mit den Kapitalisten Ende März den Pilotabschluss. Die meisten Bezirke haben diesen Abschluss übernommen, zum Teil mit Ergänzungen und weiteren Verschlechterungen. So kann zum Beispiel das Weihnachtsgeld in Baden-Württemberg bei schlechter Wirtschaftslage um 50 Prozent gekürzt werden.

Auch Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern (Bezirk Küste) und Sachsen-Anhalt haben den Pilotabschluss übernommen. Damit wurde die Angleichung an den Westen in diesen drei östlichen Bundesländern wieder einmal verpasst. Das bedeutet, dass die Kolleginnen und Kollegen dort weiterhin drei Stunden länger pro Woche arbeiten müssen. Das sind etwa 140 Stunden oder fast vier Wochen mehr im Jahr. Oder, auf den Lohn gerechnet: Sie bekommen etwa 8,5 Prozent weniger als die Kolleginnen und Kollegen im Westen. Und das seit über 30 Jahren.

Noch nicht abgeschlossen hat allerdings der Bezirk mit den meisten Metallbeschäftigten im Osten. In ihm sind circa 290.000 Beschäftigte in Berlin, Brandenburg und Sachsen zusammengefasst. Die Kolleginnen und Kollegen kämpfen derzeit um die „Angleichung Ost“. Seit dem 20. April finden Streiks mit einer hohen Beteiligung statt, allein in den ersten vier Tagen waren fast 30.000 Kolleginnen und Kollegen im Warnstreik, darunter viele in Ganztagsstreiks. Das sind fast so viele wie in den ersten vier Wochen der Tarifrunde zusammen.

Der Verband der sächsischen Metall- und Elektroindustrie hatte zuvor versucht, den von ihm heraufbeschworenen Arbeitskampf per Gerichtsentscheid verbieten zu lassen. Er scheiterte damit allerdings vor dem Landesarbeitsgericht. „Das Thema glüht den Menschen in Ostdeutschland im Herzen. Die Empörung und Wut über den gerichtlichen Angriff auf das Streikrecht vom sächsischen Arbeitgeberverband ist groß und bricht sich in den Warnstreiks gerade Bahn“, erklärte Birgit Dietze, Verhandlungsführerin und IG-Metall-Bezirksleiterin in Berlin-Brandenburg-Sachsen.

In der letzten Woche haben die Streikenden viele Solidaritätsbekundungen aus Betrieben, Politik und Gesellschaft erhalten. „Die Welle der Solidarität reißt nicht ab“, heißt es von der IG Metall, die Liste der Unterstützerinnen und Unterstützer werde immer länger. Neben Politikern sind darunter auch Tarifkommissionen, Ortsvorstände, Vertrauensleute und Betriebsräte aus allen Branchen.

Diese Unterstützung ist gut und dringend notwendig. In vergangenen Auseinandersetzungen um die Angleichung der Arbeitszeiten fehlte sie. Wenn die Kapitalseite kein akzeptables Angebot für die Angleichung vorlegt, werden Erklärungen nicht reichen. Es braucht Solidaritätsstreiks im Westen, um den Metallerinnen und Metallern in Berlin, Brandenburg und Sachsen den Rücken zu stärken und den nötigen Druck aufzubauen. Auch mit weiteren Ganztagsstreiks kann der Druck erhöht werden. Hält der sächsische Arbeitgeberverband an seiner Blockadehaltung fest, bestünde nach einer Urabstimmung die Möglichkeit, mit Vollstreiks zu reagieren.

Die Angleichung Ost in einem Tarifbezirk durchzusetzen wäre ein großer Lichtblick in einer Tarifrunde, die Reallohnsenkungen sowie eine weitere Aushöhlung des Flächentarifs zum Ergebnis hat.

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"Streik nach Pilotabschluss", UZ vom 30. April 2021



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