Internationaler Frauentag und Auftakt der Tarifrunde im Sozial- und Erziehungsdienst

Streik am 8. März

Wie sähe unsere Gesellschaft aus ohne die Arbeit der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst? Eine Ahnung davon haben wir während der Corona-Pandemie erlebt, als Teile dieser Arbeit weggebrochen sind. Vieles war schwieriger, einiges lief gar nicht mehr.

Die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst (SuE) kümmern sich um den Nachwuchs, begleiten Familien durch Krisen oder unterstützen Obdachlose und Menschen mit Behinderungen. Üblicherweise gilt die Arbeit der Beschäftigten – in sozialen Berufen sind dies circa 90 Prozent Frauen – als selbstverständlich und wird erst öffentlich thematisiert, wenn sie nicht mehr oder nur eingeschränkt läuft. So wie in der Corona-Pandemie, als das Home-Office gleichzeitig Schule, Kita und Hort wurde. Viele haben die Bedeutung dieser Arbeit bewusster wahrgenommen, die gesellschaftliche Anerkennung ist gestiegen.

Im SuE-Bereich sind 1,66 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, davon 1,4 Millionen Frauen. Fast zwei Drittel arbeiten im Bereich der Kinderbetreuung und -erziehung, 470.000 sind im Bereich der Sozialarbeit beschäftigt und 229.400 in der Behindertenhilfe.

Diese unverzichtbare Arbeit, die die Beschäftigten leisten, wird viel zu schlecht bezahlt, der Personalmangel ist enorm, der Arbeitsdruck groß und die Arbeitsbedingungen schlecht. Deshalb gab es bereits in den Jahren 2009 und 2015 hartnäckige – und teilweise auch erfolgreiche – Kämpfe um Verbesserungen. Diese Kämpfe werden dieses Jahr fortgesetzt, mit drei Schwerpunkten: finanzielle Aufwertung dieser wichtigen Berufe, eine Verbesserung der belastenden Arbeitsbedingungen sowie Maßnahmen gegen den großen Fachkräftemangel.

Der elf Punkte umfassende Forderungskatalog enthält die bessere Eingruppierung von Kinderpflegerinnen und -pfleger, Schulbegleiterinnen und -begleiter, Sozialassistentinnen und -assistenten, die einen hohen Anteil der Beschäftigten ausmachen, weil ausgebildete Fachkräfte wie Erzieherinnen und Erzieher und Sozialarbeiterinnen und -arbeiter fehlen. Mit einem Rechtsanspruch auf Qualifizierung werden höherwertige Abschlüsse angestrebt, um den Fachkräftemangel zu verringern. Mit der Einführung von Entlastungstagen soll der hohen Belastung begegnet werden. Durch eine längere Vorbereitungszeit soll die Qualität der Arbeit verbessert werden.

Am 25. Februar fanden die ersten Verhandlungen mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) statt. Erwartungsgemäß gab es keine Ergebnisse. Die VKA lehnte die Forderungen rundweg ab, deswegen wird am 8. März gestreikt. Der Internationale Frauentag wurde bewusst als erster Streiktag gewählt, um mit dem Schwung der politischen Frauenbewegung und der Kraft der SuE-Beschäftigten den Druck auf die VKA zu erhöhen. Eine der Herausforderungen dieses Arbeitskampfes ist, dass kaum ökonomischer Druck ausgeübt werden kann. Deshalb braucht er breite Unterstützung und Solidarität von uns allen.

Im Aufruf zum feministischen Streik am 8. März werden die Ursachen der schlechten Arbeitsbedingungen erläutert: „Dabei werden Zeit und Mittel für Sorgearbeit (ob unsichtbar, unbezahlt zu Hause oder unterbezahlt im Beruf) so weit reduziert, dass diese Arbeit nicht mehr dazu dienen kann, dass es den Menschen wirklich gut geht, sondern nur dazu, Menschen ausreichend fähig für den Arbeitsmarkt zu halten und lohnarbeitsunfähigen Menschen gerade so ein Überleben zu sichern. Darunter leiden Kinder, Patientinnen und Patienten, Klientinnen und Klienten sowie deren Angehörige und natürlich die Beschäftigten, die systematisch ausgebeutet und bis übers Limit überlastet werden.“

Im Streikaufruf des feministischen SuE-Solibündnisses Kassel, abgedruckt in der Zeitung „express“, wird die Stoßrichtung so beschrieben: „Wir brauchen eine Vergesellschaftung der gesamten Care- und Sorgearbeit! Diese Arbeiten gehören nicht in die Vereinzelung des Privaten oder in die Hände von Konzernen, sondern müssen gesellschaftlich und basisdemokratisch organisiert werden … Wir kämpfen für eine radikale Umwälzung des Systems! Das bedeutet Bedürfnislogik statt Leistungslogik. Für eine Gesellschaft, in der gegenseitige Fürsorge und nicht der Profit im Zentrum stehen – gegen Kapitalismus und Patriarchat!“

Wie auch bereits in den Tarifkämpfen 2009 und 2015 ist die Bereitschaft der Beschäftigten groß, sich aktiv zu beteiligen. Gut zwei Drittel der Befragten gaben an, sich an Aktionen beteiligen oder mit Kolleginnen und Kollegen Gespräche führen zu wollen, an Streiks würden sich fast 80 Prozent beteiligen.

Es ist das erste Mal in Deutschland, dass am 8. März ein Frauenstreik stattfindet – eine historische Chance, diesem Tag eine höhere Wertigkeit, Bedeutung und Kampfkraft zu geben. Die klare antikapitalistische Ausrichtung der bundesweiten Vernetzung der feministischen Streikbewegung ist eine gute Voraussetzung, um durch den gemeinsamen Kampf diese Ausrichtung auch in die Gewerkschaftsbewegung zu tragen.

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"Streik am 8. März", UZ vom 4. März 2022



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