Iran reagiert auf Eskalation durch Israel

Strategische Geduld am Ende?

Mehr als zwei Monate lang hielt sich die iranische Regierung zurück. Am 31. Juli dieses Jahres wurde Ismail Hanija, der politische Führer der Hamas, in Teheran durch einen israelischen Anschlag getötet. Regierung und Militär des Iran sahen eine „Rote Linie“ überschritten und drohten mit Vergeltung – zu passender Zeit. Tatsächlich schien die Zeit nie zu kommen: bis zum 1. Oktober.

Vor allem sollten die Verhandlungen um einen Waffenstillstand in Gaza nicht durch einen iranischen Angriff gestört werden. Immer wieder hieß es aus Washington, die Verhandlungen stünden kurz vor einem Abschluss. Für das Stillhalten des Iran versprach die US-Regierung ein baldiges Ende der Kämpfe in Gaza, das dann aber nicht kam. Der neugewählte Präsident Massud Peseschkian fühlte sich betrogen.

Am 27. September wurden auch noch der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, und Mitglieder seines Stabes in einem beispiellosen israelischen Angriff auf Beirut getötet. Sie hatten offenbar auch mit einem hochrangigen Vertreter des iranischen Militärs die Möglichkeit eines 21-tägigen Waffenstillstandes diskutiert. Der Vorschlag dazu war von den USA und ihren Verbündeten gekommen. Laut Medien war Nasrallah bereit, dem Waffenstillstand zuzustimmen.

Der „Reformer“ Peseschkian war mit dem Versprechen zur Wahl angetreten, eine Annäherung an die USA zu suchen. Er zeigte sich sogar offen für neue Gespräche über das Atomabkommen, das ja einseitig von den USA gekündigt worden war. Zur Generalversammlung der Vereinten Nationen reiste er in der Hoffnung auf Verhandlungen mit einer Delegation an, die Teilnehmer an den früheren Atomverhandlungen umfasste.

Mit dem Bombenangriff auf Nasrallah war die „strategische Geduld“ des Iran zu Ende, zu deren Quellen auch eine einflussreiche Schicht von Geschäftsleuten gehört, die ihre wirtschaftliche Zukunft in einem Ausgleich mit den USA sieht. Ihr Einfluss schwindet mit jedem Schritt der Eskalation.

Als am 1. Oktober der Iran Israel mit 180 Raketen angriff, war die Luftabwehr der USA, Israels und Jordaniens überfordert. Unzählige iranische Raketen schlugen eine nach der anderen in israelischen Militärstützpunkten ein.

Darauf folgten Warnungen vor einer regionalen Ausweitung des Krieges. Sie erscheinen überwiegend als reine Lippenbekenntnisse, kommen sie doch gerade auch von den Staaten, die Israel in seinem Krieg in Gaza und Libanon logistisch, militärisch und finanziell unterstützen. US-Präsident Joseph Biden warnt Israel vor Angriffen auf die Ölinfrastruktur des Iran ebenso wie vor Angriffen auf nukleare Anlagen, lässt aber zugleich die Bomben für diese Angriffe liefern. Und die USA selbst greifen wiederholt den Jemen an.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dagegen versucht die Diplomatie in seiner traditionellen „Einflusssphäre“, dem Libanon, weiter zu stärken. Er ruft zu einem Waffenboykott gegen Israel auf. „Eine Schande“, meint Benjamin Netanjahu.

Israel kann mit Unterstützung der USA Gaza und den Libanon weiterhin in Schutt und Asche legen. Doch im Norden Gazas sind die Kämpfe wieder aufgeflammt, die israelische Bodenoffensive im Libanon stagniert und nach wie vor gibt es wegen der Raketenangriffe kein Zurück für die israelischen Einwohner in der Nähe der Grenze zu Libanon oder Gaza.

Die möglichen Auswirkungen eines israelischen Angriffs auf den Iran und dessen Reaktion sind unberechenbar. Sie könnten sogar das kommende Treffen der BRICS-Staaten in Kasan erschweren. Die Folgen für Energiepreise und -versorgung und wirtschaftliche Entwicklung sind unabsehbar. Das weiß auch das Pentagon und versucht, mit einer Einladung an den israelischen Minister Joaw Gallant und Angeboten an Netanjahu einen Angriff zu verhindern.

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"Strategische Geduld am Ende?", UZ vom 11. Oktober 2024



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