Untersuchungen wegen Tötungen durch die israelische Armee eingestellt – Blockade verhindert Wiederaufbau in Gaza

Straflos

Von Georg Polikeit

Das israelische Militär hat kürzlich rund hundert Untersuchungen gegen israelische Offiziere und Soldaten wegen begangener Kriegsverbrechen während des Gazakrieges 2014 eingestellt, ohne Sanktionen zu verhängen. Das geht aus einer von der Armeeführung am 24. August veröffentlichten Mitteilung hervor, über die auch die palästinensische Nachrichtenagentur Ma’an berichtete.

Demnach stellte die Armeeführung im August rund ein Dutzend Untersuchungen gegen Armeeangehörige ein, die konkreter Gewaltakte bzw. der vorgeplanten Tötung von palästinensischen Zivilisten beschuldigt worden waren. Rund 80 weitere Fälle wurden eingestellt, ohne dass überhaupt eine Untersuchung eröffnet worden wäre. Insgesamt waren bei der Armeeführung nach deren eigenen Angaben rund 500 Beschwerden wegen Gewalttaten von israelischen Militärangehörigen gegen palästinensische Zivilisten im Rahmen der Gaza-Operation eingegangen, die nach der Genfer Konvention über den Schutz von Zivilpersonen unzulässig waren und damit unter den Begriff Kriegsverbrechen fallen. Aber nur in 24 Fällen wurde eine Untersuchung eröffnet, und nur gegen drei Armeeangehörige wurden wegen der nachweislichen Verletzung des Völkerrechts gewisse Sanktionen verhängt.

Zu den straflos gebliebenen Gewalttaten gehörte u. a. die Tötung von 12 Mitgliedern der palästinensischen Familie Siyam am 21. Juli 2014 durch einen israelischen Luftangriff, von dem die Armee nunmehr behauptet, dass er nicht von ihr ausgeführt worden sei, sondern die Familie von einer Rakete getroffen worden sei, die von palästinensischen Terroristen abgefeuert worden war, ihr Ziel in Israel aber nicht erreichte und im Gazastreifen abstürzte.

Auch das Massaker an der Familie Zurub am 1. August 2014 in Rafah blieb straflos, obwohl hier eingestanden wurde, dass der Luftangriff von der israelischen Armee ausgeführt worden war. Dieser Angriff sei jedoch nach israelischem und internationalem Recht gerechtfertigt gewesen, weil in dem zerstörten Wohnhaus der Familie ein „Hamas-Kommando“ seinen Sitz gehabt habe. Auch die Zerstörung einer von der UNO eingerichteten Schule in Rafah, in die sich durch den Krieg obdachlos gewordene Palästinenser, darunter Frauen und Kinder, geflüchtet hatten, blieb trotz zehn toter Zivilisten straflos.

Saeb Erekat, der Generalsekretär der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), erklärte zu der israelischen Mitteilung: „Wir haben nichts anderes erwartet als die Rechtfertigung Israels für die bei der letzten großen Militärattacke auf Gaza begangenen Kriegsverbrechen.“ Das Ergebnis dieser vom israelischen Kolonialregime und damit praktisch von den Tätern selbst geführten Untersuchungen dürfe jedoch keinesfalls akzeptiert werden. Erekat zog den Schluss: „Nach Israels offizieller Position, sich selbst von jeder Verantwortung freizusprechen und seine Haltung gegenüber der Praxis von Kriegsverbrechen zu bekräftigen, sind wir der Ansicht, dass es an der Zeit ist für den Internationalen Strafgerichtshof (ICC), zu handeln. Die internationale Gemeinschaft hat eine Verantwortung, das palästinensische Volk vor der kriegstreiberischen israelischen Besatzungsmacht zu schützen und Israels Straflosigkeit für alle gegen das Land und Volk von Palästina begangenen Verbrechen ein Ende zu setzen.“

Nach einem Bericht der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem endeten rund 70 Prozent der 739 von ihr offiziell vorgelegten Klagen – wegen der ungerechtfertigten Tötung von Palästinensern, ihrer Verwendung als menschliche Schutzschilde oder der Zerstörung ihres Eigentums durch israelische Streitkräfte – in entweder straflos gebliebenen oder gar nicht erst eröffneten Untersuchungen.

Die 51-tägige israelische Militärattacke im Gazastreifen unter der Bezeichnung „Operation Flankenschutz“ hatte laut UNO-Angaben die Tötung von 1 462 Palästinensern zu Folge, ein Drittel davon Kinder. Mindestens 142 Familien haben drei oder mehr Angehörige verloren. Mitte August 2016 wurde mitgeteilt, dass rund 50 Prozent der bei dem Angriff 2014 vom israelischen Militär zerstörten palästinensischen Häuser noch nicht wieder aufgebaut werden konnten. Hauptgrund dafür ist die anhaltende israelische Blockade des Gaza-Streifens, wodurch die Einfuhr von Baumaterial erheblich behindert wird. Laut einer UNO-Übersicht vom April dieses Jahres sind deshalb immer noch bis zu 75 000 Palästinenser im Gaza-Streifen obdachlos und auf Behelfsunterkünfte angewiesen. UNO-Koordinator Robert Piper verwies darauf, dass die meisten von ihnen „in einer desaströsen und tragischen Situation“ leben. Internationale Unterstützung zur Beendigung dieser Situation sei dringend erforderlich.

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"Straflos", UZ vom 9. September 2016



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