Deutschland hat das Recht verwirkt, anderen moralische Ratschläge zu erteilen. Wer die Jahre 1933 bis 1945 erlebt hat, kann es nicht ertragen, dass Deutschland heute anderen Belehrungen in Sachen Menschenrechte erteilt.“ Eine Aussage wie gemünzt auf die aktuelle Situation, ausgesprochen im Jahr 2013 von Heinz Düx. Der Antifaschist, Nazijäger und Richter am Oberlandesgericht Frankfurt am Main wäre am 24. April 100 Jahre alt geworden.
Düx war in jeder Hinsicht ein Ausnahmejurist und für die Klassenjustiz ein Störfaktor bis über seinen Tod hinaus. Posthum sorgte seine Todesanzeige in der „FAZ“ vom 11. Februar 2017 noch für Unruhe in der konservativen Richterschaft: „Es ist nicht das Bewusstsein, das unser Sein, sondern umgekehrt das Sein, das unser Bewusstsein bestimmt (Karl Marx)“ stand da, umrankt von Trauerflor. Aus seiner Gesinnung machte Düx niemals einen Hehl, seine materialistische Weltanschauung war das Florett, mit dem er zeitlebens gegen reaktionäre Strukturen in der Justiz und ständig wiederauferstehende „ewig Gestrige“ stritt. Nicht zu Unrecht trägt der 2011 von Wilhelm Rösing produzierte Dokumentarfilm über den unbequemen Juristen den Titel „Der Einzelkämpfer – Richter Heinz Düx“.
Ein Einzelgänger war er nicht, zum Einzelkämpfer wurde er unfreiwillig, gaben doch im Justizapparat jene den Ton an, die in ihm und seinem Kollegen und Mitstreiter, dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, nur „Nestbeschmutzer“ sahen. Es bestimmten die Seilschaften, nicht wenige mit Blut an den Händen, die ihr Berufsethos aus dem „Tausendjährigen Reich“ in die Adenauer-Republik hinübergerettet hatten. Hinzu kam die Generation junger Juristen, die sich unpolitisch wähnten, von „richterlicher Unabhängigkeit“ sprachen, aber damit nur ihr fehlendes Rückgrat zu kaschieren suchten – eben „diese typischen Kleinbürger, Karrieristen, die bis ins Letzte von sich überzeugt sind und heute große Töne spucken, aber gerade diejenigen sind, die damals mitgemacht hätten“ (Forum Recht, 5. Dezember 2013).
Düx hatte nicht „mitgemacht“. 1924 im Marburger Stadtteil Weidenhausen als Sohn eines Mechanikermeisters geboren, wusste er schon früh, wo sein Platz war: „Ich hatte aufgrund der familiären Bindungen von Anfang an eine gewisse Affinität zum Kommunismus.“ Der junge Düx verweigerte als Schüler über Jahre den Beitritt zu Jungvolk und Hitlerjugend (HJ), bis 1936 die HJ zur Pflicht wurde. Sein freier Geist und seine unorthodoxe Haarpracht (für die HJ-Führer war er der „Tangojüngling“) ließen Schwierigkeiten folgen: Er hörte Feindsender, auch Radio Moskau, galt in der Schule als ein Gegner des Regimes. Einmal wurde eine Klassenzeitung verfasst, in der stand: „In der linken Ecke sitzt der Heinz; das ist der Staatsfeind Nummer eins.“ Im Sommer 1942, das Abitur hatte er gerade in der Tasche, ersparte ihm eine Erkrankung den Kriegsdienst in der faschistischen Wehrmacht. Das im selben Jahr aufgenommene Jurastudium an der Philipps-Universität in Marburg brach er wider Willen nach drei Semestern 1944 vorerst ab – man hatte ihn zum Dienst in einem kriegswichtigen Bahnbetriebswerk verpflichtet. Als im Frühjahr 1945 erneut die Zwangsrekrutierung anstand, diesmal durch den Volkssturm, setzte er sich mit dem Fahrrad zu Verwandten in den benachbarten Vogelsbergkreis ab – nicht ganz ungefährlich, „da dauernd Tieffliegerangriffe waren“. Auch dort nicht sicher, floh er mit einem Bekannten in die umliegenden Wälder und hielt sich bis zum Einrücken der US-Truppen im März 1945 verborgen.
Wieder an der Universität, trat Düx der KPD bei und arbeitete im Entnazifizierungsausschuss der juristischen Fakultät mit. Es folgten zwei überdurchschnittliche Staatsexamina und die Dissertation zur Bedeutung der freien Gewerkschaftsbewegung vor 1914. Seinem politischen Interesse folgend, konzentrierte sich Düx fortan auf Entschädigungsverfahren für die Opfer faschistischen Unrechts. Erst auf anwaltlicher Ebene, später ab 1956 als Richter in den sogenannten „Rückerstattungskammern“ der Landgerichte Darmstadt und Frankfurt am Main, ab 1966 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1989 in den Entschädigungssenaten des Oberlandesgerichts. Die juristische Kleinarbeit am OLG, die hunderten Naziopfern zu finanzieller Genugtuung verhalf, war unspektakulär, aber für Düx Kür und Pflicht zugleich: Hier konnte er konkret etwas bewegen.
Bundesweite Bekanntheit erlangte Düx seit 1960 als Untersuchungsrichter für die Ermittlung der Verbrechen im Vernichtungslager Auschwitz und die Euthanasiemorde in der Tötungsanstalt Hartheim (Oberösterreich), in der 18.000 Psychiatriepatienten ihr Leben verloren. Der von Generalstaatsanwalt Bauer und Ermittlungsrichter Düx vorbereitete Auschwitzprozess gegen 22 Angeklagte begann am 20. Dezember 1963, nach 183 Verhandlungstagen fielen am 20. August 1965 die Urteile. Für sechs Angeklagte lautete das Urteil lebenslang, die übrigen erhielten Haftstrafen zwischen 3 und 14 Jahren, drei Angeklagte wurden freigesprochen. Zufrieden war Düx mit den Urteilen nicht. In seinem 2004 erschienenen Buch „Die Beschützer der willigen Vollstrecker. Persönliche Innenansichten der bundesdeutschen Justiz“ schildert er ebenso eindrucksvoll wie desillusioniert die mannigfachen Hürden und Widerstände, die der Justizapparat ihm in den Weg stellte. Eine Dienstreise nach Auschwitz zur Tatortuntersuchung genehmigte man ihm nicht – er fuhr dennoch, auf eigene Kosten. Die Störmanöver reichten von Kontaktverboten zu Staatsanwälten in der DDR über „dezente“ Drohungen („Meine Frau und ich waren auf einem Geburtstag des Leiters der Amtsanwaltschaft (…). Dort hat der damalige Leiter des Verfassungsschutzes meine Frau angesprochen und gesagt, er wüsste alles über mich“) bis hin zu einer Disziplinarstrafe – Düx hatte die Beförderung eines Richters und früheren HJ-Führers beanstandet.
In den 1970er Jahren versuchte die CDU-Fraktion im hessischen Landtag, den unliebsamen Düx aus dem Dienst zu entfernen. Der aber ließ sich von den „Vorwürfen“ – Teilnahme an einem Berufsverbote-Hearing, Mitgliedschaft in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) und der Vereinigung demokratischer Juristen (VDJ), Unterstützung von Friedens- und Abrüstungsinitiativen, Mitunterzeichnung eines Aufrufs zur Feier des 30. Jahrestags der Befreiung von Faschismus und Krieg, neben den Kommunisten Kurt Bachmann und Max Reimann – nicht sonderlich beeindrucken. Im Gegeifer der Reaktionäre sah er die Richtigkeit seines Weges bestätigt.
Im Gerichtssaal, auf Kongressen und durch seine über 200 Publikationen stritt Düx für eine bessere Republik, für ein Recht, das diesen Namen auch verdient.
Dem Marburger Historiker Friedrich-Martin Balzer gebührt das Verdienst, in dem von ihm editierten Sammelband „Justiz und Demokratie. Anspruch und Realität in Westdeutschland nach 1945“ die Schriften und Gedanken von Heinz Düx für die Nachwelt gesammelt und zugänglich gemacht zu haben. Mit fast 1.000 Seiten liegt seit 2013 ein facettenreiches Kompendium vor, das verstehen lässt, was war, und Fingerzeige gibt, was zu verändern nötig ist. Als PDF abrufbar unter: kurzelinks.de/Duex