Deutschland nutzt uigurische Separatisten, um China zu schwächen

Stimmungsmache mit Grenzen

Dolkun Isa ist seit einigen Wochen ein gefragter Mann. Seit Politik und Medien in der EU und in Nordamerika sich mit Berichten über angebliche „chinesische Konzentrationslager“ in Xinjiang überschlagen, gibt der Präsident des „World Uyghur Congress“ (WUC) für sie regelmäßig den Kronzeugen ab. Bei der UNO in Genf oder auf dem prominent frequentierten „Halifax International Security Forum“ in Kanada soll jemand Todesfälle in den erwähnten Lagern beklagen? Isa ist der richtige Mann. „Die Zeit“ sucht einen authentischen Uiguren, der gegen Beijing mal so richtig vom Leder zieht? Isa fordert im Gespräch mit dem Blatt gerne Sanktionen. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat‘s ganz besonders praktisch: Der WUC hat seinen Sitz doch tatsächlich in München, in der Adolf-Kolping-Straße, zentral gelegen, Nähe Stachus. „Warum gibt es keinen Aufschrei?“, will der zuständige Redakteur der „Süddeutschen“ gern aus berufenem Munde wissen: „Wo bleiben die Proteste der internationalen Staatengemeinschaft?“ Die Antwort erhält er persönlich in den Räumlichkeiten des WUC, nur wenige Meter von der Großbaustelle am Münchner Hauptbahnhof entfernt.

Zufall ist es nicht, dass der WUC in der bayrischen Landeshauptstadt angesiedelt ist. München hat sich sukzessive zur globalen Zentrale des uigurischen Nationalismus entwickelt, seit dort im Jahr 1971 Erkin Alptekin, Spross eines bekannten uigurischen Separatisten, beim US-Propagandasender Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) anheuerte. Alptekin ging damals mit Erfolg daran, die wachsende Szene der Exil-Uiguren innerhalb wie außerhalb der Bundesrepublik zu vernetzen. Sein Ziel: Lobbyapparate aufzubauen, die bei den westlichen Mächten Stimmung für den uigurischen Separatismus machen und die damit uigurische Nationalisten in der Volksrepublik unterstützen. In der bundesdeutschen Politik haben Alptekin und insbesondere der 2004 von ihm gegründete WUC immer wieder regen Anklang gefunden. Als im November 2006 die Exil-Uigurin Rebiya Kadeer zu Alptekins Nachfolgerin als Präsidentin des WUC gewählt wurde, erhielt sie Gratulationsschreiben von mehr als 50 teils hochrangigen Politikern, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel. Im Juli 2008 traf Kadeer in Washington mit US-Präsident George W. Bush zusammen. Als im November 2017 Dolkun Isa zum WUC-Präsidenten gewählt wurde, waren Abgeordnete aus dem Deutschen Bundestag wie auch aus dem Europaparlament zugegen. Die Kontakte, die heute beiden Seiten helfen, China mit Blick auf die Lager in Xinjiang international unter Druck zu setzen – sie werden seit vielen Jahren systematisch aufgebaut.

Wozu das Ganze? Aus Sicht der herrschenden Kreise in den USA scheint die Sache klar: Ihnen ist im Kampf gegen ihren großen ostasiatischen Rivalen wohl jedes Mittel recht, das dazu beiträgt, China im Innern zu schwächen und es in der internationalen Öffentlichkeit nach Möglichkeit zu diffamieren. Aus Sicht der herrschenden Kreise in Deutschland ist die Lage nicht ganz so einfach. Zwar gilt auch ihnen die Volksrepublik als Rivale, dem man bei jeder Gelegenheit gern einen Knüppel zwischen die Beine wirft. Doch hat Chinas Bedeutung für die deutsche Industrie in den vergangenen Jahren beträchtlich zugenommen. Erst vor wenigen Wochen hat eine Umfrage unter Spitzenkräften ergeben, dass, wenn man sich zwischen den USA und China entscheiden müsste, zwar 50 Prozent der deutschen Wirtschaftselite sich für die transatlantische Kooperation entschieden. Gut ein Drittel aber gäbe lieber das US-Geschäft als dasjenige mit der Volksrepublik auf. Und betreibt Volkswagen, dessen mit Abstand größter Markt China ist, nicht ein Werk in Xinjiang? Da mag der transatlantische Flügel der deutschen Eliten noch so sehr toben: Solange Berlin nicht gezwungen ist, endgültig zwischen Washington und Beijing zu wählen, liegt eine gewisse Rücksichtnahme auf China durchaus im staatlichen Gesamtinteresse der Bundesrepublik. Sanktionen, wie sie im US-Establishment gefordert werden, lehnt die Bundesregierung – bislang jedenfalls – denn auch noch ab.

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"Stimmungsmache mit Grenzen", UZ vom 6. Dezember 2019



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