Unmut über deutsche Dominanz wächst

Stimmung in der EU kippt

Selten ist der Unmut über die deutsche Dominanz in einer ganzen Reihe von EU-Staaten so klar zutage getreten wie in der „Corona-Krise“. Die Risse im europäischen Staatenkartell brechen immer weiter auf.

Jörg Kronauer - Stimmung in der EU kippt - Europäische Union - Positionen
Jörg Kronauer

Angefangen hat es mit dem Exportverbot für medizinische Schutzausrüstung, das die Bundesregierung am 4. März verhängte – nur wenige Tage, nachdem Italien, von der Pandemie überrollt, die EU offiziell um Hilfe gebeten hatte. Unterstützung gab es nicht vom angeblich doch so solidarischen „Europa“, sondern nur aus China. Dann kam die einseitige deutsche Grenzschließung am 16. März, nur wenige Tage, nachdem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in einer Fernsehansprache ausdrücklich gebeten hatte, derlei Maßnahmen nur gemeinsam auf EU-Ebene einzuführen. Berlin hatte Paris nicht nur düpiert; es kam hinzu, dass französische Pendler mit der Grenzschließung zu Tausenden von ihren Arbeitsplätzen in Deutschland ausgesperrt wurden, wenn sie denn nicht im Gesundheitswesen arbeiteten, also für die Bundesrepublik „systemrelevant“ waren. Mediziner dürfen weiterhin ins Saarland einreisen, laufen dort aber, sofern sie als Franzosen erkannt werden, Gefahr, mit Eiern attackiert und zur Heimkehr nach „Corona-Frankreich“ aufgefordert zu werden.

Sorgt das bis heute für heftigen Unmut im Nachbarland, so schwoll rasch auch noch der Streit um die „Corona-Bonds“ an, eine gemeinsame Ausgabe von Euroanleihen, für die alle Eurostaaten geradestehen würden. Sie wären vorteilhaft für die besonders schwer von der Krise getroffenen südlichen Euroländer, die auf günstigere Zinsen hoffen könnten; allerdings würde Deutschland ein wenig draufzahlen, weil es mit höheren Zinsen zu rechnen hätte. Die Kosten für Berlin werden auf maximal zwölf Milliarden Euro im Jahr geschätzt – kein Pappenstiel, aber nicht viel im Vergleich zu den Summen, mit denen die Bundesrepublik von der EU und vom Euro profitiert. Die Bertelsmann-Stiftung berechnete jüngst die Einkommenszuwächse, die Deutschland dem Binnenmarkt verdankt, auf 86 Milliarden Euro allein im Jahr 2017, während das Freiburger Centrum für Europäische Politik den Nutzen des Euro für die Bundesrepublik von seiner Einführung bis 2017 auf beinahe 1,9 Billionen Euro bezifferte, die Kosten des Euro für Frankreich hingegen auf 3,6 Billionen Euro, diejenigen für Italien auf 4,3 Billionen.

Kann man da nicht wenigstens ein bisschen was von den eigenen Profiten abgeben, gar nicht solidarisch, nicht einmal fair, nur ein bisschen weniger räuberisch? Nein, hat die Bundesregierung entschieden, man kann nicht. Und sie hat sich damit bislang auch durchgesetzt. Nur: Der Unwille, von Berlin immer mehr ausgepresst zu werden, schwillt auch bei denjenigen Teilen der Eliten in anderen EU-Staaten an, die bislang noch bereitwillig kooperierten. Deutschland stelle sein nationales Interesse über „das europäische Projekt“, treibe also eine Politik à la „America First“, beschwerte sich die konservative spanische Tageszeitung „El Mundo“. Die ebenfalls eher konservative „Kathimerini“ aus Griechenland warnte, das Nein zu den Corona-Bonds könne sich „für Europa als noch vernichtender erweisen als das Virus selbst“. Und die linksliberale, bisher EU-freundliche italienische „La Repubblica“ rechnete ganz offen mit der „Hauptstadt der hegemonialen Nation in Europa“ ab. Das Covid-19-Virus habe „in wenigen Wochen die Illusionen hinweggefegt“, die man sich über die EU gemacht habe; es habe „die Heucheleien zertrümmert“.

Inzwischen singt Berlin, um den Unmut zu dämpfen, laut das Hohelied von der angeblichen europäischen Solidarität. In der Praxis aber bleibt es hart: Es gibt kaum Hilfe, keine Corona-Bonds, die Grenzen bleiben zu. Die Stimmung beginnt denn auch zu kippen. Ein Beispiel: Die Hälfte der italienischen Bevölkerung spricht sich inzwischen für einen EU-Austritt aus. Und unter den Ländern, die kürzlich in einer Umfrage als „Feinde“ Italiens genannt wurden, landete Deutschland mit 45 Prozent auf Platz eins.

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"Stimmung in der EU kippt", UZ vom 1. Mai 2020



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