Internationale Konzerne setzen ihre „privaten“ Steuersätze durch

Steuerpoker im Hinterzimmer

Von Klaus Wagener

Sogar der EU-Kommission ist nun aufgefallen, dass es bei der Besteuerung multinationaler Konzerne nicht immer mit rechten Dingen zugeht. Der Kaffeekocher Starbucks und die Autoschmiede Fiat müssen nach Medienberichten 20 bis 30 Mio. Euro nachzahlen. Die Niederlande und Luxemburg hätten den Konzernen illegale Steuervorteile gewährt.

Es geht um die künstliche Verlagerung von Gewinnen in andere Unternehmensteile. Damit lässt sich die Steuerlast in dem betreffenden Land verringern. Die jeweiligen Steuerbehörden hatten diese Verlagerungen durch Steuervorbescheide, sagen wir, zusätzlich motiviert.

Endlich zeige die EU-Kommission Zähne, schwärmt der Grünen-Abgeordnete im EU-Parlament Sven Giegold, „20 Jahre Wegschauen der EU gegenüber steuerlichen Beihilfen für Großunternehmen sind endlich vorbei. Viele Steuerabsprachen zwischen Unternehmen und einzelnen Regierungen in der EU sind illegale Staatsbeihilfen.“

Irgendwie beschleicht einen das Gefühl, die Grünen seien eine vorrationale Glaubensgemeinschaft. Und Sven Giegold glaubt beharrlich an das Gute in der EU-Kommission. Noch nach 20 Jahren. Diese „Steuerabsprachen“ sind keine „illegalen Staatsbeihilfen“, sondern schlicht organisierter Betrug am Gemeinwesen und natürlich an denen, die brav ihre Steuern zahlen (müssen).

Nun ist dieser Betrug nicht auf die „Steuerabsprachen“ beschränkt. Die Schrödersche Agenda-Politik ist ein nur schwer zu toppendes Highlight staatlich organisierter Massen- und Staatsverarmung und exzessiver Reichenmast. Die Erfolge: Eine verfallende Infrastruktur, erodierende Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsysteme, ein schnell wachsendes „Prekariat“, Altersarmut auf dem Vormarsch einerseits und ein obszöner Reichtum, der nicht weiß, wohin mit seinem Geld andererseits.

Giegold bemerkt zu Recht, „dass es Sonderabsprachen zwischen Konzernen und Steuerverwaltungen in vielen Mitgliedstaaten der EU gibt.“ Allein der „LuxLeaks-Skandal“ habe gezeigt, „dass mehr als 350 Großkonzerne Sonderkonditionen zur Zahlung ihrer Steuern in Luxemburg bekommen haben“. Auch andere Länder wie die Niederlande und Irland seien davon betroffen.

Naiverweise stellt man sich im vielbeschworenen „Rechtsstaat“ die Sache so vor: Es gibt klare Regeln. Der Souverän – in seiner Vertretung der Bundestag – bestimmt gesetzlich die Geldleistungen (Steuern), die von den ebenfalls zu bestimmenden Steuerpflichtigen zur Finanzierung des Gemeinwesens erhoben werden. Die Besteuerung erfolgt nach bestimmten Normen, sozialer Gerechtigkeit, Willkürverbot etc., nach Steuerarten und Steuertatbeständen. Alles genau definiert und gesetzlich fixiert. Soweit die Theorie.

Die neoliberale Gegenreform hat diese „Rechtstaatlichkeit“ längst ausgehöhlt. Steuersätze – für Großunternehmen – werden auf dem freien Markt der Standortkonkurrenz längst jenseits der Gesetzesnorm ausgehandelt. Für viele EU-Staaten ist die „Steuerabsprache“ zu einer Art Geschäftsmodell geworden. Das Luxemburg des EU-Kommissionspräsidenten ist das Paradebeispiel, aber keineswegs das einzige.

Mit der Aufhebung der Kapitalverkehrskontrollen treten Staaten immer stärker in eine ruinöse „Standort“-Konkurrenz um das vagabundierende Kapital. Neben den Lohn-, Energie- und Transportkosten, den Sozial- und Umweltstandards sind die Steuersätze ein entscheidender Investitionsfaktor. So speist sich die Attraktivität des „keltischen Tigers“, Irland, für US-Konzerne bspw. nicht zuletzt aus seinem Steuerdumping. Ähnliches gilt für eine Reihe anderer EU-Länder.

Konfrontiert mit einer hochindustrialisierten und hart merkantilistisch agierenden Zentralmacht und der Fähigkeit zur Währungspolitik beraubt, ist das Steuerdumping für viele kleine Staaten der Eurozone eine der wenigen verbliebenen Möglichkeiten, ihren Standort für den „Investor“ aufzuhübschen.

Standen die Staaten auch mit ihren „offiziellen“ Steuersätzen schon in harter Konkurrenz, mit der Steuerreform 2001 ff. des damaligen Finanzministers Hans Eichel (SPD) schaltete das Steuerdumping gewissermaßen den Turbo ein. So zwingt die Steuervermeidungsstrategie der Großkonzerne viele Staaten nun dazu, auch noch den letzten Rest rechtsstaatlicher Camouflage abzustreifen. Willkommen in der Bananenrepublik.

Das Steuerdumping ist nebenbei auch eine der Ursachen der Euro-Krise. Dem steuerpolitischen Rattenrennen um die niedrigsten Standards können sich nur wenige entziehen. Die milliardenschweren Einnahmeverluste der öffentlichen Kassen rauben den Staaten ihre Gestaltungskraft. Konjunkturprogramme, Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Gesundheit sind immer weniger zu finanzieren.

Der Schuldenstand der Eurostaaten (EU19) ist auf aktuell 9,456 Billionen, derjenige der EU28-Staaten auf 12,531 Billionen Euro gestiegen. Es ist jenseits aller Realität, dass dieser Schuldenberg – bei der gegenwärtigen Verfasstheit der EU – zurückgezahlt werden wird. Daran werden die „jeweils 20 bis 30 Millionen Euro“, die Fiat und Starbucks nachzahlen sollen, auch nichts ändern.

Aufgrund dieser und erhoffter weiterer Rückzahlungen stünden „die Staaten, die die schmutzigen Deals ausgehandelt“ hätten, „vor einem Geldregen“ glaubt der Grüne Sven Giegold. Und er macht sich Sorgen, wie dieser „Geldregen“ denn gerecht verteilt werden kann. Da wird wieder einmal das Fell des Bären verteilt, lange bevor er erlegt worden ist.

Die Dynamik der „Märkte“ dürfte auch hier allemal stärker sein. Und die EU-Kommission war da noch nie Fels kapitalistischer Regulierung in der neoliberalen Brandung.

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"Steuerpoker im Hinterzimmer", UZ vom 30. Oktober 2015



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