Keine Gemeinnützigkeit für Kapitalismuskritiker

Steuerliche Zensur

Von Nina Hager

Jetzt hat es auch die Online-Plattform „Campact“ getroffen, die unter anderem Proteste gegen TTIP und SETA mitorganisiert hatte, die sich für Seenotrettung, Umweltschutz und anderes mehr einsetzt. Im Steuerbescheid des Berliner Finanzamts für 2016 hieß es, dass keine Befreiung mehr gewährt werden könne. Der Verein sei nicht mehr länger gemeinnützig, da er im Überprüfungszeitraum überwiegend allgemeinpolitischer Betätigung nachgegangen sei: „Auch handelt es sich bei den Kampagnen nicht um politische Bildung. Im Vordergrund stand nicht die Information über politische Prozesse, sondern vielmehr die Einflussnahme auf diese.“ Durch die Aberkennung der Gemeinnützigkeit darf der Verein keine Spendenbescheinigungen mehr ausstellen, auch Mitgliedsbeiträge sind nicht mehr steuerlich absetzbar. Damit ist die Arbeit der Aktivistinnen und Aktivisten gefährdet.

Im Vorfeld der großen Demonstration gegen TTIP und CETA im Oktober 2015 hatten vor allem Unionspolitiker gegen „Campact“ Stimmung gemacht. Im Dezember 2015 forderte der Wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestags, Joachim Pfeiffer, dann „die Gemeinnützigkeit von Campact zu überprüfen“. „Campact“ initiiere seit Jahren Kampagnen gegen die geplanten Freihandelsabkommen TTIP und CETA. Damit verfolge der Verein „politische Zwecke, was nach der Abgabenordnung unvereinbar ist mit der Gemeinnützigkeit“. Pfeifer weiter: Campact solle „ruhig ihre Aktivitäten betreiben, nur künftig nicht mehr mit den Steuergeldern der Bürger“.

Die Vorlage für das Berliner Finanzamt hatte der Bundesfinanzhof (BFH) gegeben, der Anfang des Jahres ein gegenteiliges Urteil des Hessischen Finanzgerichts zu Gunsten von „Attac“ von 2016 aufhob und an die Erstinstanz zurückverwies. In der Begründung des BFH hieß es damals: „Wer politische Zwecke durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung verfolgt, erfüllt keinen gemeinnützigen Zweck.“ Die Aktionen von „Attac“ und das damit verbundene politische Engagement gingen über die Förderung einzelner Zwecke hinaus und seien zu nah an tagespolitischen Debatten. Wenige Monate nach diesem Urteil hat es nun – wie schon vorher befürchtet – den nächsten kapitalismuskritischen Verein getroffen. Inwieweit der Entzug der Gemeinnützigkeit endgültig ist, bleibt aber offen, denn die Betroffenen wehren sich. In der Auseinandersetzung wird immer wieder auch darauf verwiesen, dass die entsprechenden Bescheide sich auf ein lange veraltetes Vereinsrecht aus dem Jahr 1924 stützen, das 2007 etwas ergänzt wurde und heute politisch vor allem gegen unliebsame globalisierungs- und kapitalismuskritische sowie Umweltvereine instrumentalisiert wird. Anfang des Jahres drohten NRW-Finanzämter auch der Landesorganisation der VVN-BdA mit dem Entzug der Gemeinnützigkeit.

Was gemeinnützig ist, wird in Paragraf 52 der Abgabenordnung geregelt: Es sei ein Verhalten von Personen oder Körperschaften, das dem Gemeinwohl diene. Dazu gehören unter anderem die Förderung der Wissenschaft und Forschung, von Bildung und Erziehung, von Kunst und Kultur sowie des Sports sowie die Katastrophen- und humanitäre Hilfe und kirchliche Zwecke. Auffällig ist, dass bislang Vereine wie etwa die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik (DWT), die Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP), der Förderkreis Deutsches Heer (FKH) nicht angetastet wurden.

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"Steuerliche Zensur", UZ vom 8. November 2019



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