Im September 2015 hatte die EU-Kommission der Übernahme der Energiesparte der französischen Firma Alstom durch den US-amerikanischen Konzern General Electric (GE) für 9,7 Milliarden Euro zugestimmt. Mit GE kam der größte Industriekonzern der USA in die Schweiz und löste ein Erdbeben auf dem „Werkplatz Schweiz“ aus. Epizentrum war das Werk in Baden bei Zürich zusammen mit den Standorten Turgi, Dättwil, Birr und Oberentfelden.
Insgesamt hatte Alstom nach der Übernahme noch rund 5 500 Arbeitsplätze. Damit war der Konzern bis dahin der größte private Arbeitgeber des in der Südwestschweiz liegenden Kantons Aargau. Darüber, was GE mit den Standorten im Aargau vorhat und was die Übernahme konkret für die Beschäftigten bedeutet, machte GE keine verbindlichen Aussagen.
Aber während in Budapest mit ein paar Mausklicks und Unterschriften Milliarden Franken verschoben wurden, arbeitete das Management in der GE-Konzernzentrale schon am Plan zum massiven Arbeitsplatzabbau. Mitte Januar 2016 kündete GE dann an, allein an den Standorten im Aargau rund 1 300 Beschäftigte zu entlassen. Heute wissen wir, es werden bis Ende 2017 etwa 900 verlorene Arbeitsplätze sein.
Der Kanton Aargau hat als einer von vielen Kantonen in der Schweiz schon seit mehreren Jahren mit fehlenden Steuereinnahmen zu kämpfen. Diese Situation wird sich eher noch verschlechtern. Denn die Absicht von GE, die Übernahme von Alstom zur Profitmaximierung zu nutzen, realisiert der Konzern nicht nur durch Personaleinsparung, sondern auch durch kreative Steuerersparnis. Bekanntlich können internationale Konzerne ihre Gewinne innerhalb Europas ganz legal zwischen ihren Tochterfirmen hin- und herschieben, bis am Schluss der zu versteuernde Betrag tendenziell gegen Null schrumpft, oder der Gewinn in einem Land mit extrem günstigen Steuersätzen anfällt. Dazu konstruierte GE konkret ein Dreiecksgeschäft über die Schweiz, Ungarn und Holland.
Zum Milliarden-Steuer-Tuning bediente sich GE eines selbst geschaffenen Steuerkonstrukts, in dem die Schweizer GE Energy Switzerland eine gewichtige Rolle spielte. In der Mittagspause des 21. Dezember 2015, 12.00 Uhr wurde GE Energy Switzerland von der holländischen GE Energy Europe an die ungarische GE Hungary für den Preis der Stammaktien – 40000 Franken – verkauft. Noch am selben Tag, nur eine Stunde danach, wurde GE Energy Switzerland von den Ungarn wieder für 1 860 Milliarden Forint oder 6,4 Milliarden Schweizer Franken verkauft – an just die Firma, die sie eine Stunde zuvor verscherbelt hatte: die holländische GE Energy Europe. Welch ein Wunder, plötzlich war den Holländern die Firma, die sie nur eine Stunde zuvor quasi verschleudert hatten, Milliarden wert.
Das war längst nicht alles, was in dieser Schicksalsstunde geschah: auch GE Energy Switzerland blieb nicht untätig und kaufte von ihrem kurzzeitigen Besitzer GE Hungary den ewigen Zugang zu Kundendateien, Patenten und Anweisungen für Prozesssteuerungen. Für diese Übertragung geistigen Eigentums zahlte GE Energy Switzerland 8,1 Milliarden Franken. Für was wars gut?
Hätte GE Switzerland diese 8,1 Milliarden stattdessen als Gewinn in der Schweiz versteuert, hätten einige Gemeinden, der Kanton und der Bund bis zu 1,5 Milliarden Franken an Steuern bekommen. Denn der reguläre Satz für die Unternehmensgewinnsteuer Aargau liegt bei 18,5 Prozent.
Fassen wir zusammen: GE Hungary kassiertet am 21. Dezember 2015 durch den Verkauf der GE Energy Switzerland samt der immateriellen Güter an diesem Tag insgesamt 14,5 Milliarden Franken. Die eingangs erwähnte ungarische Rechercheplattform „Atlatszo“ schätzt, dass dieser Milliardengewinn in Ungarn höchstens mit zwei Prozent versteuert werden musste. Was hier ablief hatte alles seine kapitalistische Ordnung. GE stellte klar, dass die Transfers von Rechten, Technologie und Inventar von GE Hungary an GE Energy Switzerland „zu angemessenen Marktwerten vorgenommen und unabhängig verifiziert“ wurden. Die Transaktionen seien vollständig offengelegt und „vor ihrer Durchführung mit Steuerbehörden und nicht steuerlichen Behörden sowohl in Ungarn als auch in der Schweiz diskutiert“ worden. Damit habe GE habe alle Steuergesetze und Rechtsordnungen eingehalten.