Weihnachten und die „Grundsicherung im Alter“

Sterntalers Albtraum

Kolumne von Ruth Frölich

Vor-Weihnachtszeit. Zeit der Vor-Freude und Vorbereitung. So wünschen es sich viele. Und auch manch ein Amt hat ein Einsehen und verfügt: Rund um Weihnachten – vom 20. bis 31. Dezember – soll es keine bösen Briefe geben, also keine „belastenden Verwaltungsakte“, wie es im Amtsdeutsch heißt.

Ich freue mich darüber für meine Mitmenschen. Ich bin hiervon zwar nicht betroffen, doch Behördenkämpfe und -krämpfe gibt es auch für mich zuhauf. Das Schlimmste ist der alljährliche „Weiterbewilligungsantrag zur Leistung der Grundsicherung im Alter“. Das Gesetz will es so, dass ich wie viele andere alljährlich im Dezember diesen SGB-XII-Antrag erneuern muss. Das heißt: drei Seiten Formular ausfüllen, lückenlos alle Kontoauszüge der letzten drei Monate vorlegen, dazu Nebenkostenbelege sowie Nachweise, was und wie viel vom Schonvermögen noch übrig ist.

So wird das jetzt Jahr für Jahr sein. Bis an mein Lebensende. Ob ich das auch mit 80 oder 90 noch schaffen werde? Glauben die wirklich, ich wäre Sterntaler und Taler rieselten auf mich hernieder? Glauben die das? Kinder mögen davon träumen. Aber wir Alten nimmermehr.

Selbst wenn es so wäre, dass mir silberne Taler in den Schoß fallen wie im Märchen, dann würde das Sozialamt mir alle wieder abnehmen. Denn diese würden als Einkommen verrechnet – nach dem „Zuflussprinzip“. So, wie es bereits mit Geldzuwendungen zu Weihnachten geschieht. Da wird auch ein zweistelliges Geldgeschenk als „Einkommen“ angerechnet. So ist das zu Weihnachten – alle Jahre wieder.

Dabei gibt es total nette Mitarbeiter in so einem Sozialamt. Ich schätze die Beschäftigten und bedauere, wie diese bisweilen angegangen werden von wütenden Opfern unzureichender Bewilligungen.

Und diese Opfer gibt es zuhauf. Immer mehr Menschen bekommen Grundsicherung im Alter – trotz eines langen Arbeitslebens. Bei mir sind es über dreißig Jahre, die ich eingezahlt habe in die Deutsche Rentenversicherung. Zwei Kinder habe ich großgezogen. Karriere war nicht möglich, ein arbeitsreiches Leben mit kleinen Ersparnissen schon.

Warum eigentlich gibt es in Deutschland keine Mindestrente? Anders als in 13 anderen europäischen Staaten? Weil Faulheit nicht belohnt werden soll, hören wir. Wer maßt sich da an, über die Lebensleistung eines Menschen zu urteilen? Ich habe mein ganzes Leben lang gearbeitet, aber über lange Zeiten für wenig oder gar kein Geld. Habe ich deshalb nichts geleistet?

Nicht nur die Höhe des Bürgergelds (vormals Hartz IV) und der Grundsicherung im Alter sind identisch (563 Euro plus Wohnkosten), sondern fast sämtliche Bestimmungen und Bestrafungen. Darum auch der alljährliche Weiterbewilligungsantrag. Statt die Alten zu schätzen, werden sie behandelt wie vermeintlich „arbeitsscheue“ Bürgergeldempfänger. Stattdessen brauchen wir eine Mindestrente, von der man und frau leben kann.

Andere Länder zahlen eine 13. Monatsrente – darunter die Schweiz, Griechenland, Spanien, Portugal und Italien. Ich dagegen werde 2025 nur knapp elf Monatszahlungen Grundsicherung bekommen. Das kommt daher, dass das Amt mir nach dem „Zuflussprinzip“ mehr als eine Monatszahlung abziehen wird. Eine Erstattung zu viel bezahlter Nebenkosten wird vom Amt als Einkommen angerechnet, obwohl ich diese einst aus eigener Tasche bezahlt habe, als ich mit 69 Jahren noch arbeiten ging. Für solche Fälle ist also das Schonvermögen da.

Vielleicht werde ich dagegen klagen. Aber erst kommen Weihnachten und Neujahr, und da wollen wir ja an das Gute glauben. Vielleicht schafft es die neue Thüringer Regierung, mindestens Beziehern kleiner Renten und von Grundsicherung im Alter künftig eine 13. Monatsrente zu bescheren. Oder – um eine Forderung des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) aufzugreifen – es wird vielleicht ein Weihnachtsgeld in Höhe von 500 Euro für alle Rentner eingeführt.

Gerecht wäre es. Ein schöner Wunsch, wenn nicht für dieses, dann für kommende Jahre. Man darf ja noch träumen – zumindest zur Weihnachtszeit.

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"Sterntalers Albtraum", UZ vom 20. Dezember 2024



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